1. Fastensonntag: Achtsamkeit beim Sehen

Fastenzeit 2012: Fasten mit allen Sinnen – unsere Sinne schärfen
Für eine neue Achtsamkeit

1. Fastensonntag: Sehen – das Auge

Fasten – neue Achtsamkeit beim Sehen

nicht alles sehen wollen, die Bilderflut eindämmen, kritisches Sehen, unseren Augen eine Pause gönnen, Wichtiges nicht übersehen, tötende Blicke vermeiden, nicht immer das Negative sehen, auch das Positive sehen, bewusst anschauen, nicht wegschauen, die Augen nicht verschließen, wohlwollendes Sehen, freundlicher Blick, jemandem zuzwinkern, aufmunternder Blick, einmal über etwas hinwegsehen, jemanden in die Augen sehen, etwas/jemanden liebevoll betrachten, sehen, wo meine Hilfe gebraucht wird, sehen, was zu tun ist, die kleinen Schönheiten entdecken ….

für die kommende Woche:

  • Einmal bewusst auswählen, was ich mir im TV ansehe bzw. auch einmal abschalten, verzichten und dafür miteinander reden, lesen, spielen, schweigen
  • Jeden Tag für einige Momente die Augen schließen, still sein, mir eine Sehpause gönnen.
  • Jeden Tag eine kleine Schönheit in meiner Umgebung entdecken und ausgiebig betrachten.
  • Auf Menschen, denen ich begegne, achten, sie wahrnehmen, grüßen und freundlich in die Augen sehen.
  • Sehen, wo jemand etwas braucht und ihr/ihm eine Hilfe erweisen.

 

Predigt von Pfarrer Dietmar D. Stipsits

Liebe ChristInnen!

Können wir uns selbst wirklich ansehen? Wollen wir das tun, ganz offen und schonungslos? Oder sehen wir nicht eher, was wir sehen und ertragen wollen? Ich weiß nicht, wie es Ihnen dabei ergeht, aber ich hab manchmal ein Problem mit meinem Spiegel im Bad. Er zeigt mir meistens nicht das Bild, das ich gern von mir hätte…

Kennen sie diese Werbung? Eine junge Frau steht vor dem Spiegel. Sie sagt: „Paul findet meinen Bauch zu dick. Und meinen Po zu dünn. Aber ich, ich finde mich extrem gut.“ Sie geht zu Ihrer Freundin, die auf dem Sofa sitzt und herzhaft in ein Brot beißt. Die Freundin sagt: „Paul, wer ist eigentlich Paul?“ Und beide lachen…

Ja, das wäre gut, wenn wir in den Spiegel schauen und sagen könnten: ich finde mich extrem gut. Wer kann das? Da sind all die Fehler in unserem Leben. Zuallererst die äußeren: wir sind nicht so schön wie die Models auf dem Laufsteg oder wie ein braun gebrannter, extrem durchtrainierter Erfolgskerl. Und dann die beruflichen, die familiären Fragen: ich hab’s nicht gepackt, bin beruflich nicht so weit gekommen im Leben, wie ich mal gehofft habe. Unsere Ehe befindet sich in einer Krise. Mit den Kindern gibt’s dauernd Schwierigkeiten.

Und dann mögen wir nicht mehr in den Spiegel sehen, blicken weg und arbeiten nur mehr weiter, Alltagstrott, denn zu genau hinsehen würde vielleicht bedeuten, dass ich mein Scheitern zumindest mir selbst gegenüber eingestehen muss oder gar mein Leben völlig zu ändern hätte. Und wer hat dazu den Mut?

Gott sieht uns mit seinen Augen an. Und seine Augen bedeuten für mich Zuwendung. Gerade weil Gott auch die Seiten an uns sieht und damit kennt, die wir oft anderen und manchmal uns selbst gegenüber so geschickt kaschieren, sagt Gott zu mir: „Du bist von mir gewollt. Bei dir habe ich mir etwas gedacht. Dein Leben macht Sinn. Und deshalb kannst du auch dein Scheitern ansehen und vielleicht sogar dein Leben ändern. Ich habe dir das Leben geschenkt“, sagt Gott, „und nun lebe es in Verantwortung und flüchte dich nicht aus dem Leben vor den Fernseher in ein virtuelles Leben. Sieh hin, weil ich sehe es doch längst…“

Die Bibel ist voll von Geschichten über Menschen, die plötzlich wahrnehmen, dass sie von Gott liebevoll angesehen werden und von ihm zärtlich gehalten sind.  Und so finden sie die Kraft zu diesem Leben neu. Auch Jesus war von diesem Vertrauen in Gott gehalten. Ja, das Leben ist mehr als das, was wir derzeit sehen.

Schauen wir uns selbst mutig und schonungslos an! Es hilft nichts, unser Bild zu retuschieren und zu beschönigen. Vertrauen wir uns dabei Gott an. Und Gott will doch, dass unser Leben Sinn macht. Da kann es dann auch ein Lächeln geben über die Schwächen und den Mut zur Veränderung. Sehen wir auch unsere dunkle Welt schonungslos an und fragen wir, was wir tun können, wie sich unser Lebensstil ändern muss, damit Menschen leben können.

Wagen wir es, uns wirklich anzusehen. Wagen wir es, ganz offen in den Spiegel zu sehen und zu uns zu sagen: „Ich bin von Gott geliebt. Gott möchte mich zu einem Menschen machen, der offen und ehrlich sich selbst und den anderen in die Augen schauen kann.“ – heute und bis in Ewigkeit.

 

Meditation

Jemand sagt zu mir:  “Einen Augenblick bitte!”

Kaum ist diese Aufforderung zu Ende gesprochen,
ist er auch schon vorbei – der Augenblick.
Wie lange soll ich also noch warten?
Der Augenblick ist augenblicklich vorbei.
Was ich aber brauche, ist der Augenblick jetzt,
der aufmerksame, anhaltende Augenblick, der wohltuende,
der mich jetzt wahrnimmt, der mich annimmt, der Vertrauen erweckt,
der  entwaffnende Blick, der zärtliche, der meinem Blick begegnet,
der zugewandte, verständnisvolle, der meine Not erkennt,
der erlösende Blick, in den sich mein hilfesuchender verschauen darf
und durch den es mir augenblicklich besser geht!

Ob ich wohl daran denke, wenn ich zu jemandem sage:
“Einen Augenblick bitte!”

peter hanel