1. Fastensonntag: „Vater unser“

1. Fastensonntag 2013
Thema: „Vater unser“

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1. Einleitung:

Für die heurige Fastenzeit hat der Liturgiekreis unserer Pfarre das „Vater Unser“ als Leitfaden gewählt. Weil es uns so vertraut ist, sprechen wir es manchmal vielleicht zu gedankenlos. Daher wollen wir an jedem Fastensonntag eine Zeile, eine Bitte herausnehmen und diese für unser Leben wieder neu entdecken und erschließen.

Heute ist es der Beginn dieses Gebetes an der Reihe: „Vater unser“. Vor allem möchte ich Sie heute mit der Frage konfrontieren: Welches Bild habe ich von Gott? Wie stelle ich mir Gott vor? In unserer Kindheit haben sich bestimmte Gottesbilder in uns eingeprägt. Tragen diese Bilder von Gott uns durchs ganze Leben oder hat sich mein Gottesbild im Laufe meines Lebens weiterentwickelt? Welche Bilder von Gott finden wir in der Bibel? Und wen meine ich persönlich, wenn ich „Vater unser“ bete? Mit diesen Fragen wollen wir uns heute am 1. Fastensonntag auseinandersetzen.

2. Lesung: Lesung aus dem Buch Jesaja (Jes 49,9d-15):

Auf allen Bergen werden sie weiden,
auf kahlen Hügeln finden sie Nahrung.
Sie leiden weder Hunger noch Durst,
Hitze und Sonnenglut schaden ihnen nicht.
Denn er leitet sie voll Erbarmen
und führt sie zu sprudelnden Quellen.

Alle Berge mache ich zu Wegen,
und meine Straßen werden gebahnt sein.
Seht her: Sie kommen von fern,
die einen von Norden und Westen,
andere aus dem Land der Siniter.
Jubelt, ihr Himmel, jauchze, o Erde,
freut euch, ihr Berge!
Denn der Herr hat sein Volk getröstet
und sich seiner Armen erbarmt.

Doch Zion sagt: Der Herr hat mich verlassen,
Gott hat mich vergessen.
Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen,
eine Mutter ihren leiblichen Sohn?
Und selbst wenn sie ihn vergessen würde:
ich vergesse dich nicht!

3. Evangelium: Lk 15,8-10

Da erzählte Jesus ihnen ein Gleichnis und sagte:
Wenn eine Frau zehn Drachmen hat
und eine davon verliert,
zündet sie dann nicht eine Lampe an,
fegt das ganze Haus
und sucht unermüdlich,
bis sie das Geldstück findet?
Und wenn sie es gefunden hat,
ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen
zusammen und sagt:
Freut euch mit mir;
ich habe die Drachme wiedergefunden,
die ich verloren hatte.
Ich sage euch:
Ebenso herrscht auch bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder,
der umkehrt.

4. Predigt:

Liebe ChristInnen!

Gott stellen sich viele von uns wohl nach wie vor als alten Herrn vor mit weißem Rauschebart, vielleicht so, wie ihn auch Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle dargestellt hat. Ich vermute, dass sich dieses Bild von Gott sehr stark in unseren Vorstellungen eingebrannt hat, ein gestrenger Gottvater.

Interessant, dass die hebräische Bibel, also das Alten Testament nur etwa zwanzig Stellen kennt, an denen Gott als Vater bezeichnet wird. Und diese Bezeichnung taucht auf innerhalb der prophetischen Botschaft, bei den Propheten Hosea, Jeremia und im 3. Teil des Jesajabuches. Manche Bibelausleger vertreten sogar den Standpunkt, dass es mindestens genauso viele mütterliche Aussagen von Gott gibt wie väterliche.

Interessant ebenfalls, dass es für den Kirchenlehrer Augustinus um das Jahr 400 n. Chr. kein Problem war, sich Gott als Vater und Mutter vorzustellen, als Vater, „weil er begründet, weil er ruft, weil er befiehlt, weil er herrscht“ und als Mutter, „weil sie wärmt, weil sie nährt, weil sie stillt, weil sie umschließt“.

Ganz wichtig für mich war das Wissen, dass das hebräische Wort „Barmherzigkeit“ (rachamim) vom hebräischen Wort „raechaem“ kommt; und „raechaem“ bedeutet so viel wie „Mutterschoß“. In der Barmherzigkeit erweist sich also das „Mütterlich-Sein“ JHWH’s. Keine Wunder, wenn im Gleichnis des „barmherzigen Vaters“ (Lk 15), der barmherzige Vater seinem „verlorenen Sohn“ entgegeneilt, eine Haltung, die im alten Orient zutiefst weiblich ist, nur von Frauen üblich ist. Wenn sich Gott uns Menschen erbarmt, dann handelt er wie eine Mutter zu ihrem Kind.

Wenn wir uns Gott nur als alten Vater vorstellen, wie eingangs erwähnt im Fresko von Michelangelo in der Sixtina, dann würde das von einem sehr beschränkten Bild zeugen, das wir uns von Gott machen. Die Bibel, Altes wie Neues Testament möchten uns aufzeigen, dass Gott viel mehr ist, als nur ein alter Herr.

Das „Vater unser“ möchte uns einladen, unser Gottesbild zu weiten, uns daran zu erinnern, dass „unser Vater im Himmel“ genauso besorgt ist um uns, wie eine Mutter sich um ihr Kind sorgt, wie wir es in der heutigen Lesung gehört haben (vgl. Jes 49,15; Jes 66,13), dass Gott sich unserer erbarmt, mit uns barmherzig umgeht.

Papst Johannes Paul I. sagte es für mich treffend am 10. Sep. 1978 in seiner Angelus-Ansprache: „Wir wissen: Gott hat die Augen immer offen über uns, auch wenn es scheinbar Nacht ist. Gott ist Papa, mehr noch, er ist Mutter, will uns nichts Schlechtes tun, will uns nur Gutes tun, uns allen. Wenn Kinder vielleicht krank sind, haben sie noch mehr Anspruch, von der Mutter geliebt zu werden. Und auch wir, wenn wir vielleicht an Schlechtigkeit erkrankt und auf Abwege geraten sind, haben noch mehr Anspruch, von Gott geliebt zu sein.“ Wenn wir das „Vater unser“ beten, dann sollen wir uns bewusst sein, dass Gott zu uns wie ein liebenden Vater und wie eine sorgende Mutter ist – heute und bis in Ewigkeit.

5. Meditation:

Gott ist unser Vater und unsere Mutter

Gott ist die Mütterlichkeit.
Die gütige, liebevolle Mutter,
die die Not ihres Kindes weiß und kennt,
die es erhält voller Zärtlichkeit.
Und wenn es älter und größer wird,
dann ändert sie auch ihr Wirken für ihr Kind;
aber nie ändert sie ihre Liebe.
Die Mutter kann wohl dulden,
dass ihr Kind manchmal fällt
und mancherlei Schaden nimmt,
wenn es ihm zum Segen gereicht;
aber ihre Liebe kann nie zulassen,
dass irgendeine Gefahr ihr Kind bedroht.

Die Barmherzigkeit ist eine Eigenschaft,
die dem Muttersein
in seiner zarten Liebe eigen ist.
Da sah ich, dass Gott seine Freude daran hat,
dass ER unser Vater ist und unsere Mutter.

Juliana von Norwich,
Mittelalterliche Mystikerin (+ nach 1413)