Kard. Schönborn: „Von ruhigen Zeiten ist wenig die Rede“

EDW, 28.10.2010Wortlaut des am 26. Oktober 2010 veröffentlichten APA-Interviews mit Kardinal Christoph Schönborn.Die Aussagen von Kardinal Christoph Schönborn in einem APA-Interview haben in der österreichischen Öffentlichkeit große Beachtung gefunden. „erdioezese-wien.at“ dokumentiert den vollen Wortlaut des Interviews, das die „Austria Presseagentur“ (APA) mit Kardinal Schönborn geführt und am 26. Oktober 2010 veröffentlicht hat.

Frage: Herr Kardinal, als Sie  1995 zum Erzbischof von Wien bestellt wurden, hätten Sie sich eine ruhigere Amtszeit vorgestellt?

Antwort: Wenn man die Bibel aufmerksam liest, ist relativ wenig von ruhigen Zeiten die Rede. Die getauften und gefirmten Christen – und damit natürlich auch die Bischöfe – sind immer in spannende Auseinandersetzungen hineingestellt. Es ist wie mit den Aposteln im Schiff auf dem vom Sturm gepeitschten See Genezareth. Und 1995 war ein „annus horribilis“, ein schreckliches Jahr, für die katholische Kirche in diesem Land. Also ließ nichts vermuten, dass es „ruhig“ zugehen würde. Aber Christus war damals im Boot und ist es auch heute. Sein Wort damals wie heute: „Fürchtet euch nicht!“

Frage: Das Missionsprojekt „Apostelgeschichte 2010“ hat laut Ihren Aussagen eine „Zwischenstation“ erreicht. Wie stellen Sie sich die missionarische Arbeit in den Gemeinden konkret vor?

Antwort: Der „Masterplan“ für die Weiterarbeit hat fünf Elemente. 1. Es geht um das „Ja“ zu unserer Zeit und unserer Welt, um die Bereitschaft, sich wirklich auf eine „säkulare Welt“ einzulassen. 2. Wir müssen die anderssprachigen Katholiken fördern. An die 30 Prozent der Katholiken in Wien haben – wie man heute sagt – Migrationshintergrund. Die katholische Kirche in Wien wird immer mehr „Weltkirche im kleinen“. 3. Es geht aber auch darum, den anderen christlichen Kirchen die Hand zu reichen. Die zweitgrößte Religionsgruppe in Österreich sind die orthodoxen Christen, nicht die Muslime. Das ist kaum jemandem bewusst. Es ist unser vitales Interesse, sie zu fördern, ihnen zu helfen, auch beim materiellen Aufbau der Seelsorge. 4. Wir brauchen aber auch einen offenen Zugang zur Vielfalt der Religionen bei uns; ich denke dabei besonders an den Islam. 5. Im inneren Aufbau der Kirche geht es um eine positive Bewertung aller Formen des Miteinanders von Priestern und Laien. Hier erwartet uns intensive Arbeit, manche Schmerzen, aber auch neue Chancen.

In den letzten zehn Jahren hat es in Wien vielversprechende Ansätze für einen neuen missionarischen Aufbruch gegeben – natürlich in vollem Respekt vor der Freiheit, dem Gewissen und der Würde der Menschen, die nicht, noch nicht oder nicht mehr zur Gemeinschaft der katholischen Kirche gehören. Ich denke an den roten Faden, der u.a. das Symposion Großstadtseelsorge, die große Stadtmission, die alljährliche Erfahrung der „Langen Nacht der Kirchen“, die Missionswoche heuer zu Pfingsten verbunden hat: Die Kirche macht ihre Türen auf, sie geht aber auch dorthin, wo die Menschen sind und lädt ein zum Gespräch über „Gott und die Welt“, zum Dialog über die drei Fragen, die letzten Endes jeden Menschen umtreiben: Woher komme ich, wohin gehe ich, wozu ist mein Leben?

Frage: Strukturreformen sollen nun diskutiert werden. Was sind Ihre Anregungen für die Zukunft der Gemeinden? Wie könnten die Laien aufgewertet und Pfarrer entlastet werden?

Antwort: Meine Hoffnung ist, dass es in Zukunft in der Erzdiözese Wien  viel mehr „Gemeinden“ geben wird als heute. Das müssen aber nicht Pfarrgemeinden im kirchenrechtlichen Sinn sein. Es sind vielmehr Gemeinschaften von Menschen, die sich um Christus sammeln. Auch Diakone, Ordensleute, Pastoralassistentinnen und –assistenten oder schlicht und einfach getaufte und gefirmte Christen können solche Gemeinschaften leiten. Pfarrgemeinden im kirchenrechtlichen Sinn müssen selbstverständlich immer von einem Priester letztverantwortlich geleitet werden. Aber auch dieser Priester soll nicht „allein“ sein, auf jeden Fall steht ihm der Pfarrgemeinderat zur Seite. Und es gibt kirchenrechtlich auch „besondere Formen“ der gemeinsamen Leitung von Pfarrgemeinden durch ein Team von Diakonen, Ordensleuten, Laien unter der Letztverantwortung eines Priesters, der vielleicht nicht am Ort wohnt. Im Grunde geht es immer darum, dass wir ein schon vor 40 Jahren geprägtes Wort in die Alltagspraxis umsetzen: „Von der ‚versorgten‘ Pfarre zur ‚mitsorgenden‘ Gemeinde“. Das ist vielleicht anstrengend, aber im „Volk Gottes“ gibt es so viel Energie und Begabungen!

Frage: In nächster Zukunft soll ein Gotteshaus – konkret jenes in Neulerchenfeld in Ottakring – an die serbisch-orthodoxe Kirche übergeben werden. Wie soll die Übergabe konkret geschehen? Gibt es auch Auflagen der römisch-katholischen Kirche? Wie fühlt man sich als hoher Geistlicher persönlich dabei?

Antwort: Ich verweise immer darauf, dass wir für rund 750.000 Katholiken in der Bundeshauptstadt 172 Pfarrkirchen haben. Für die mehr als 150.000 serbisch-orthodoxen Christen gibt es nur drei kleine Kirchen. Das ist ein „Unrecht gegenüber Mitchristen“. Daher wird man das eine oder andere katholische Gotteshaus an die orthodoxe Schwesterkirche übereignen müssen. Das haben wir in der Erzdiözese Wien seit 1974 bereits einige Male getan; es wurden katholische Gotteshäuser an die syrisch-orthodoxe bzw. an die koptisch-orthodoxe Kirche übergeben, im übrigen ganz ohne mediale Aufregung.

Es geht aber nicht nur um das ökumenische Miteinander mit den orthodoxen Schwesterkirchen. Wir haben in einigen Gegenden Wiens auch das Problem, dass die katholische Wohnbevölkerung stark zurückgegangen ist – nicht nur wegen Überalterung und Kirchenaustritten, sondern auch wegen der Übersiedlungsbewegung ins niederösterreichische Umland. In manchen Gegenden – vor allem denen aus der Stadterweiterungsphase des späten 19. Jahrhunderts – gibt es heute zu viele katholische Kirchen. Wir wollen bewusst nicht den Weg gehen, der in Deutschland, England, den Niederlanden beschritten wird, wo Gotteshäuser in den Städten zweckentfremdet werden. Wenn eine solche Kirche Heimat für eine orthodoxe Gemeinde wird, dann ist das auch ein Beitrag zur Bewahrung der christlichen Identität Wiens.

Ich weiß, dass das für die betroffenen katholischen Gemeinden ein  schmerzlicher Prozess ist.  Aber es gibt keine Alternative.

Frage: Auch der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich wünscht sich eine adäquate Infrastruktur mit von außen erkennbaren Gebetshäusern. Können Sie diesen Wunsch nachvollziehen bzw. die Aufregung darüber?

Antwort: Es ist notwendig, die Dinge nüchtern zu betrachten. Gott sei Dank  gibt es in Österreich Religionsfreiheit. Das bedeutet u.a., dass eine anerkannte Religionsgemeinschaft auch entsprechende Gotteshäuser errichten kann. Zugleich gibt es in Österreich eine sehr präzise Bauordnung, die auch für Gotteshäuser eine entsprechende Einordnung vorsieht. Ich würde mir wünschen, dass dieses ausgewogene Verhältnis weltweit herrscht – auch in Ländern, wo man derzeit  eine katholische Kirche von der Straße aus nicht als solche erkennen darf.

Frage: Aufregung herrscht auch abermals über die Ernennung eines neuen Bischofs – konkret in Eisenstadt . War diese Entscheidung – im Gegensatz zu jener in Oberösterreich – diesmal transparenter? Wurden die Wünsche der Bischöfe erhört?

Antwort: Das Verfahren zur Ernennung des neuen Eisenstädter Bischofs ist ordentlich durchgeführt worden. Als Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz hat er viele Jahre unter Beweis gestellt, wofür er steht und dass er in der „Communio“, der Gemeinschaft der Kirche, zutiefst beheimatet ist.

Ich kann nur wiederholen, was ich bei der Ernennung von Bischof Zsifkovics gesagt habe: Die bewährte Vorgangsweise bei der Vorbereitung einer Bischofsernennung wurde eingehalten, der neue Bischof ist ein „Mann der Mitte“, er kann auf dem guten Fundament aufbauen, das seine Vorgänger Stefan Laszlo und Paul Iby gelegt haben. Und: Ich habe in den Jahren der Zusammenarbeit die Begabung von Ägidius Zsifkovics kennen und schätzen gelernt, Brücken zu bauen.  Außerdem hat es mich gefreut, dass mit Ägidius Zsifkovics ein „gestandener Pfarrer“ zum Bischof ernannt worden ist. Und einer, der durch seine Herkunft die kroatische Minderheit im Burgenland bewusst und bekannt macht.

Frage: Auch Umbesetzungen in Eisenstadt stoßen bei manchen Mitarbeitern auf Unverständnis. Können Sie diese als Vorsitzender der Bischofskonferenz nachvollziehen?

Antwort: Es ist nicht die Aufgabe des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, zu Vorgängen in einzelnen Diözesen Stellung zu nehmen. Bischof Zsifkovics hat deutlich gemacht, was ihn bewogen hat, Entscheidungen zu treffen. Im übrigen habe ich mit Interesse gesehen, dass seine neuen priesterlichen Mitarbeiter alle ihre Verpflichtung als Pfarrer weiterhin wahrnehmen. Als Generalsekretär der Bischofskonferenz hat er es ja auch selbst so gehalten. Das ist gut für die „Bodenhaftung“ seines Teams.

Frage: Die FPÖ hat zum Abschluss ihres Wahlkampfes in Wien den Stephansdom blau ausgeleuchtet sowie die Pummerin einspielen lassen. Was haben Sie sich dabei persönlich gedacht, als sie das erfuhren? Wie weit sind die Gespräche mit den zuständigen Stellen fortgeschritten, um ein Verbot solcher Veranstaltungen zu bewirken?

Antwort: Ich meine, dass es rund um den Stephansdom eine „Zone des Respekts“ geben muss. Natürlich sagen die Juristen, dass der Stephansplatz nicht der Kirche „gehört“. Das ist richtig. Aber es ist im Sinn des Gemeinwohls, wenn es solche „Zonen des Respekts“ gibt. Der Stephansdom kann von keiner politischen Gruppierung mit Beschlag belegt werden; er ist das Herz der Stadt und das Herz Österreichs. Das muss auch darin zum Ausdruck kommen, was rund um diesen Dom stattfinden kann und was nicht: Das Gemeinsame steht vor dem Trennenden. Ich denke, dass das alle verstehen werden.

Frage: In der Asyldebatte gibt es einen Schulterschluss von Kirchen und Glaubensgemeinschaften, um eine gesetzliche Verankerung der Kinderrechte zu erwirken. Glauben Sie, dass das Innenministerium in Zukunft behutsamer mit Fällen wie jenem der achtjährigen Zwillinge umgehen wird?

Antwort: Ich unterstütze hier die gemeinsame Initiative von Caritas, Diakonie, SOS Kinderdorf auch persönlich. Es ist erfreulich, dass sich so viele Menschen für die Aktion „Gegen Unrecht“ engagieren. Das zeigt, wie tief humanes und christliches Denken  in Österreich verankert ist. Viele Menschen haben ganz spontan richtig reagiert: Kinder gehören nicht ins Gefängnis, wie immer ihre „Papiere“ aussehen mögen. Es ist gut, dass die Komani-Zwillinge  binnen weniger Tage zurückkehren konnten. Aber das ist kein Anlass, sich zurückzulehnen. Denn die Unsicherheit für viele Familien von Asylwerbern mit kleinen Kindern bleibt bestehen. Ich kenne etliche dieser Familien und habe mich immer wieder für sie eingesetzt. Es ist inakzeptabel, wenn Familien, die voll integriert sind, die niemandem „auf der Tasche“ liegen und deren Kinder keine andere Sprache als ein österreichisch gefärbtes Deutsch können, plötzlich aus ihrem vertrauten Umfeld gerissen werden. Ich teile hier die Einschätzung der Kirchen und Religionsgemeinschaften, wie sie vor wenigen Tagen zum Ausdruck gebracht worden ist: Die Kinderrechtskonvention muss vollständig in der Verfassung verankert werden. Dazu sollen möglichst rasch Gespräche beginnen.

Die Experten unserer Caritas sagen mir, dass die Fremdengesetzgebung mittlerweile völlig unübersichtlich und undurchschaubar geworden ist. Das sollte für die Politik Anlass sein, gründlich nachzudenken und Abhilfe zu schaffen. Ich sage das auch als Appell und als Bitte: Menschen, die gut integriert und durch Jahre unbescholten in Österreich leben, sollen hier ein echtes Bleiberecht erhalten.

In der vielfach instrumentalisierten Ausländer-Diskussion muss immer wieder daran erinnert werden, dass man zwei Aspekte nicht vermengen darf: 1. Es gibt ein Menschenrecht auf Asyl, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Asylwerber in seinem Heimatland Verfolgung ausgesetzt wäre. Rasche, faire Asylverfahren sind hier von entscheidender Bedeutung. 2. Es ist das Recht jeden Staates, die Immigration entsprechend zu regeln. Österreich hat hier einen großen Nachholbedarf. Wir brauchen eine gute Immigrationspolitik.

Frage: Die Regierung hat ein Sparpaket beschlossen, dass auch Kürzungen bei Familienbeihilfe, Pflege, Entwicklungshilfe und Zivildienst vorsieht. Wie beurteilen Sie das?

Antwort: Es ist nicht Sache der Kirche, zu tagespolitischen Fragen Stellung zu nehmen. Aber hinter Budgetentscheidungen stehen natürlich auch Grundsatzfragen. Und auch als Bürger stelle ich mir die Frage, ob es gut ist, wenn zum Beispiel bei den Familien gespart wird. Alle klagen darüber, dass wir zu wenig Kinder haben. Trotzdem betreffen die höchsten Budgetkürzungen die Familien. Alle sind sich einig darüber, dass der Sozialstaat drei Grundrisikos absichern muss: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Pflege. Trotzdem gibt es kein umfassendes Pflegekonzept. Alle wissen, dass wir globale Gerechtigkeit brauchen, wenn wir globale Auseinandersetzungen vermeiden wollen. Trotzdem wird auch bei der Entwicklungszusammenarbeit gespart.

Johannes Paul II. hat oft gesagt, dass die Zukunft der Gesellschaft von der Familie abhängt. So gesehen, sind die jetzt getroffenen Entscheidungen nicht zukunftsorientiert.

Frage: Die von Ihnen eingesetzte unabhängige Opferanwaltschaft hat erste Zahlungen an Missbrauchsopfer beschlossen. Können Sie einen Mindestbetrag nennen, der in die von der Bischofskonferenz eingerichtete Stiftung fließen wird?

Antwort: Die „unabhängige Opferschutzkommission“ unter Leitung von Waltraud Klasnic hat im September den ersten zehn Opfern finanzielle Hilfen zugesprochen und diese Entscheidungen der kirchlichen „Stiftung Opferschutz“ übergeben, deren Vorsitzender Bischof Klaus Küng ist. Derzeit ist es noch nicht möglich, eine konkrete Gesamtsumme der Auszahlungen anzugeben, weil dafür Anzahl und Schwere der Fälle ausschlaggebend ist. Klar ist, dass die „Stiftung Opferschutz“ im erforderlichen Ausmaß finanziell dotiert wird. Dafür gibt es weder Unter- noch Obergrenzen.

Frage: Aus welchen Geldern wird die Stiftung konkret gespeist und wie lange soll diese bestehen?

Antwort: Die Stiftung wird nicht aus Mitteln des Kirchenbeitrags gespeist. Es werden vielmehr Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Verkäufen von Liegenschaften verwendet. Für die nötige Transparenz ist gesorgt, weil der Jahresabschluss der „Stiftung Opferschutz“ von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer geprüft werden wird.

(EDW)