1. FS: Von wem lasse ich mich (ver)führen?

1. Fastensonntag

Lesungen vom Tag

Predigt von Pfarrer Dietmar D. Stipsits:

Liebe ChristInnen!

„Von wem lasse ich mich (ver-)führen?“ Das ist die zentrale Frage der heutigen Lesung, 2. und 3. Kapitel des Buches Genesis. Und schon der Beginn (Gen 2,7) hat’s in sich und gibt bereits eine erste Antwort: „Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem, und so wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“. Ich finde diesen Satz genial. Größe und Elend des Menschen in einem einzigen Bild! Der Mensch, aus vergänglichem Stoff, aus Staub vom Acker, und gleichzeitig erfüllt vom Atem Gottes, von Gott angehaucht, von Gott mit Leben erfüllt.

Im hebräischen Text steht: So wurde der Mensch zu einer lebendigen Seele. Das hebräische Wort näfäsch, das hier mit „Seele“ übersetzt wird, meint nicht das, was wir heute meist unter „Seele“ verstehen, meint also nicht (!) die durch die frühen Kirchenväter und vor allem durch Augustinus ins Christentum übernommene Deutung von Seele, wie sie Platon und dann Plotin gelehrt haben, nämlich den Dualismus von „Leib und Seele“!

Das hebräische Wort, näfäsch, das im Buch Genesis mit „Seele“ übersetzt wurde, meint zunächst die „Kehle“ bzw. den „Rachen“ und von dort aus im übertragenen Sinn den „Atem“ und die „Lebenskraft“ des Menschen. Dabei meint „Seele“ im AT immer den ganzen Menschen mit Einbeziehung seines Körpers: Der Mensch hat nicht eine näfäsch, sondern ist (!) und lebt als näfäsch, der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit ist also Lebendigkeit, Vitalität, ist ein „Ich“, eine Person. Dieser erste Abschnitt der Lesung auf den Punkt gebracht, bedeutet für mich: Der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit ist von Gott mit Leben erfüllt.

Und dann folgt dieses erzählerische Meisterstück von der Versuchung durch die Schlange. Die Schlange ist übrigens in dieser Erzählung nicht der Teufel, wie wir sie oft missdeutet haben. Ausdrücklich heißt es am Anfang: „Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte…“ (Gen 3,1). Die Schlange ist eines der von Gott geschaffenen Tiere, wenn auch ein besonders heimtückisches. Dass sie hier als Versucherin auftritt, hat wahrscheinlich den Grund, dass in der Umgebung Israels die Schlange oft als göttliches Tier verehrt wurde. Das war die große Versuchung Israels, immer wieder zu den heidnischen Kulten seiner Umgebung abzufallen.

Und dann kommt die große Versuchung: „Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse“ (Gen 3,5). Damit hat die Schlange einen raffinierten Verdacht in den Kopf des Menschen gesetzt: Gott neidet euch euer Glück. Was gut und böse ist, was euch gut tut oder schadet, das braucht ihr euch doch nicht sagen lassen. Darüber könnt ihr doch selbst entscheiden! Gott engt eure Freiheit ein, legt euch Fesseln an, die nicht berechtigt sind. Befreit euch doch davon! Nehmt euer Leben, euer Glück selbst in die Hand!

Merken Sie, wie aktuell diese uralte Geschichte des Buches Genesis ist? Wir erleben derzeit ja deutlich und mit Schrecken, wie eine Gesellschaft aus den Fugen gerät, wenn sie sich nicht auf bestimmte Werte einigen kann, die unumstößlich gelten.

Diese alte Geschichte ist längst nicht so naiv, wie manche vielleicht meinen. Bei einigen ist ja die Vorstellung hängen geblieben: Da ist damals im Paradies mal Obst gestohlen worden. Und daraufhin ist Gott böse geworden auf die Menschen… Nein, die Erzählung vom Sündenfall spricht nicht von früher, sie spricht von uns heute, sie spricht von der Verführung/Versuchung des Menschen überhaupt, vom Größenwahn, sein zu wollen wie Gott, nicht mehr anerkennen zu wollen, dass da einer über uns steht, der uns geschaffen hat, uns seinen Lebensatem eingehaucht hat und dem wir in einem letzten Sinn verantwortlich sind.

Im Fortgang erzählt die Geschichte, wie diese angebliche Freiheit nicht das erhoffte Glück, sondern Zerstörung bringt. Gott hat Maßstäbe gesetzt, nicht aus Willkür, sondern aus Sorge um das Gelingen menschlichen Lebens. Das Böse ist zerstörerisch. Der Mensch muss sich vor Gott verstecken. Wieder finden wir ein Wortspiel im hebräischen Text: statt des erhofften Weisewerdens (hebräisch „arum“) sieht sich der Mensch plötzlich nackt (hebräisch „erom“).

„Von wem lasse ich mich führen?“ und „Von wem lasse ich mich verführen?“ – mit diesen beiden Fragen konfrontiert uns die heutige Lesung aus dem Buch Genesis. Ich persönliche beantworte für mich die Frage „Von wem lasse ich mich führen?“ folgendermaßen: Auch wenn mein Leben manchmal mühsam ist und schwer, wenn es mich mitunter unendlich niederdrückt, auch dann und gerade dann ist Gott mit mir, als der, dessen Sorge um mich niemals aufhört. Deshalb lasse ich mich von Gott führen – jeden Tag aufs Neue und bis in Ewigkeit.

siehe: Franz-Josef Ortkemper, Von Angesicht zu Angesicht. Gotteserfahrungen im AT (Sonderband Gottes Volk), Verlag Kath. Bibelwerk, Stuttgart 2010, 27.34 – 38.

Meditation:

Du bist da

Du bist da, Gott.
Ich gebe mich in deine Hand.
Nicht aus mir selbst
muss ich diesen Tag bestehen.
Deine Kraft ist in mir.
Du bist mir Halt.
Ich muss nichts an mich reißen,
nichts in meine Erwartung zwingen.
Du weißt, was ich brauche.
Du bist mir zugewandt.

Jeder Tag ist ein Gang ins Ungewisse,
aber deinen Augen entgleite ich nicht.
Du siehst, wo ich gefährdet bin
von außen oder von innen.
Ich anvertraue mich deinem Schutz.
Du erschaust mein Innerstes.
Kein Gedanke ist in mir,
mit dem ich allein bliebe,
keine Empfindung,
die an dir vorüberginge.

Auch was mir verborgen ist,
ist aufgehoben in dir.
Du bist da, Gott,
an diesem Tag.
Was immer auf mich wartet,
ich bin in deiner zärtlichen Hand.

Antje Sabine Naegeli, Umarme mich, damit ich weitergehen kann. Gebete des Vertrauens. Verlag Herder, Freiburg i. Br. 2010, 76

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