mutige visionen von P. Karl Maderner, Haus der Stille

veröffentlicht in: Echo der Stille. Der „Geist von Assisi“, nr. 1a – juni 2011, 8 – 12:

 

Ermutigung statt Gehorsam

Mit dem Leben in Berührung kommen

Das letzte Jahr hat uns als Kirche wieder ganz schön durcheinander gewirbelt. Die Missbrauchsgeschichten werden uns noch lange nachhängen, die leider erst auf Grund des öffentlichen Druckes ernst genommen wurden.

„Wir Leute der Kirche neigen dazu, alle diese Niedergänge auf die „Säkularisierung“ zu schieben, dem Zeitgeist die Schuld am Verdunsten des Glaubens zu geben. Das ist zu bequem“, sagt Kardinal Schönborn und macht dann die Theologen dafür verantwortlich. Ich meine, dass die Kirchenkrise wesentlich von den Hirten durch ihre Reformresistenz verursacht wird. Dann als Antwort einfach den Slogan „Auf Christus schauen“ auszugeben, ist zu wenig – auch wenn es stimmt, dass nur auf diesem Weg eine Erneuerung möglich wird. Da haben wir vorher noch andere Hausaufgaben zu erledigen.

Es geht darum, die Leidenschaft für die Gegenwart zu leben – wie sie jetzt ist!

Ich denke, dass uns Gott durch das Aufdecken der Missbrauchsfälle viel Grundlegenderes sagen will. Wie geht die Kirche mit ihren engsten MitarbeiterInnen um? Wie werden Menschen gefördert, dass sie selbständig denken und handeln lernen?

Das große Verhängnis für die Kirche ist die Gehorsamsstruktur

Querdenker sind in ihr auch heute noch der Verfolgung ausgesetzt. In den fast 40 Jahren meines Priesterseins habe ich immer wieder eine aufs Dach bekommen, weil ich im Blick auf die Kirchendisziplin Gedanken entwickelte, die nicht mit der offiziellen Linie übereinstimmten. Und ich kenne viele andere, denen es auch so ergangen ist.

Das Vertuschen der Missbrauchsfälle so lange Zeit wurde nur möglich, weil es von oben her gefordert und gefördert war. Infolge dieser Ereignisse scheint tatsächlich ein neuer Weg beschritten zu werden. Immer öfter kann man von verschiedenen Bischöfen hören. „Es gibt selbstverständlich kein Denk- und Sprechverbot. Jeder kann sagen, was er will. Kann kritisch reden, kann fragen“ (Bischof Kapellari). Das sind zweifelsohne neue Töne in der Kirche. Mir fehlt allein der Glaube, dass dies wirklich ernst gemeint ist. Geht es vielleicht nur darum, die Menschen und die Medien zu beschwichtigen. Man hat den Eindruck: Manche Bischöfe glauben, jetzt lassen wir die Leute ihren Frust herausreden, damit sind die Probleme erledigt und dann kann alles wieder beim Alten bleiben, wie es war. Dem ist nicht mehr so. Das wäre kein Dialog, sondern eher eine Leute-Pflanzerei. Es gehört zum Wesen des Dialogs, dass beide Gesprächspartner daraus verändert hervorgehen. Priester und Laien  lassen sich nicht mehr so wie früher gängeln. Wenn sich nichts ändert, dann werden sich die Menschen weiter von der Kirche abwenden. Immer mehr Katholiken brauchen die Amtskirche nicht mehr (siehe Austrittswelle). Sie leben nach dem Motto „Die da oben sollen reden, was sie wollen, und wir machen, was wir wollen!“ (Anm.: Ähnlich verhalten sich Bischöfe dem Volk gegenüber – siehe Dialogprozess im Anschluss an das Kirchenvolksbegehren vor über 10 Jahren). Die Amtskirche wird oft nicht mehr als Hilfe für den Glaubensvollzug gesehen. Dies hat seit der Pillenenzyklika (1968) zu einem permanenten Auszug aus der Kirche geführt, und es scheint, dass unsere Bischöfe dem nichts entgegenzusetzen haben. „Vorwärts Kameraden, im Laufschritt zurück“ funktioniert nicht mehr, obwohl sich das so manche konservative Kreise in der Kirche wünschen.

2. Vatikanisches Konzil

Zwei Worte wurden uns in diesem Zusammenhang vom 2. Vatikanum besonders mitgegeben: „Die Zeichen der Zeit zu erkennen“ und „Zurück zu den Quellen“. Je mehr sich Menschen selbständig mit den Quellen der Hl. Schrift und den Quellen der Heiligen (z.B. Franziskus) beschäftigen, umso weniger sehen sie eine Verbindung zu dem, was die Kirche unter dem Titel der Tradition verkauft (zölibatäres Priestertum, Umgang mit den Geschiedenen und Wiederverheirateten und mit Priester, die geheiratet haben usw.) und dem, was Jesus sagt. Und ich kann dem meist nur zustimmen. Ein weiteres Beispiel: Alle Getauften sind Glieder am Leib Christi – den anderen Kirchen das Kirchesein abzusprechen ist menschlich und pastoral nicht hilfreich. Schon Augustinus hat gesagt: „Gott hat viele, die die Kirche nicht hat – und die Kirche hat viele, die Gott nicht hat!“

Die Kirche ist mit ihrem Gehorsamsverständnis in eine Sackgasse geraten und braucht dringend Erneuerung. Das Tragische ist, dass wir keine Bischöfe haben, die wirklich aus der Pfarrpastoral kommen. Darum nehmen viele Aussagen von Rom die konkrete Situation der Menschen (= Zeichen der Zeit) nicht ernst. Manchmal hat man den Eindruck, unsere Hirten haben vergessen, dass nicht nur sie den Hl. Geist zugesagt bekommen haben, sondern das ganze Volk. Es gibt keinen rechten Glauben, der den „sensus fidelium“ ausschließt! Jeder Vertreter des kirchlichen Lehramtes „kann Gott gegenüber ungehorsam werden, wenn er nicht auf das Gottesvolk horcht“ (P.M. Zulehner). Früher hat man uns gesagt: Wir müssen uns den Fernstehenden zuwenden. Das stimmt zweifelsohne! Aber wer sind denn heute die Fernstehenden? Sind es nicht immer mehr die Hirten, die sich von den Gläubigen entfernen? Manche sogenannte „Fernstehende“ stehen Christus näher als andere, die noch immer ihre Kirchensteuer bezahlen.

Abschaffung der Verordnungsblätter

Ich würde mir stattdessen Ermutigungsblätter wünschen, die an alle Verantwortlichen in der Kirche verteilt werden. Die Amtskirche muss zur Kenntnis nehmen, dass ihre Priester und Laien  immer mehr und mehr erwachsen werden und nicht auf Weisungen achten, weil sie in ihrer konkreten Situation selbst wissen, was für sie und ihre Gemeinden wichtig ist. Es geht darum, der Weisung und dem Beispiel Jesu zu folgen: „Das Gesetz ist für den Menschen da – und nicht der Mensch für das Gesetz“.

Ermutigungen

Inhalte der neuen Ermutigungsblätter könnten sein:

1. Wir ermutigen euch zu selbständigem Denken – nicht warten, bis von oben etwas erlaubt ist. Immer zuerst fragen, was dient dem Leben der Menschen. Durch Verordnungsblätter, Direktorium u. ä. werden die Priester unmündig gehalten. Der Großteil der Worte der hl. Messe, der Kleidung und auch die Bewegungen des Priesters werden bis ins Detail festgelegt. Selbständiges Denken ist nicht gefragt. Was ist jetzt für meine konkrete Gemeinde notwendig?

2. Suche selbst nach Wegen, wie du in deiner Gemeinde mit den Wiederverheirateten lebensfördernd umgehst. Ermutige konfessionsverbindende Ehepaare, miteinander in den Gottesdienst zu gehen und auch miteinander am Mahl des Herrn teilzunehmen! Denn die, denen das wichtig ist, tun es eh schon – und die, die kein Interesse haben, gehen weder in den evangelischen noch in den katholischen Gottesdienst. Ich kenne einige Paare, die miteinander sowohl in der katholischen Kirche als auch in der evangelischen Kirche zur hl. Kommunion gehen. Das Verbot der Teilnahme am Abendmahl einer anderen Konfession hat noch niemanden geholfen, wohl aber geschadet! Solche Verbote treffen nur die Ängstlichen!

3. Suche selbst nach einer Sprache in der Liturgie, die die Menschen verstehen, weil sie in enger Verbindung mit dem Leben der Menschen steht. Vom neuen Messbuch, das bald kommen soll, ist meines Erachtens keine Hilfe zu erwarten, denn es soll noch mehr eine wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen sein. Wie kann eine tote Sprache das Lebensgefühl heutiger Menschen treffen? Ich habe z. B. auf meinem Computer fast 50 Hochgebete, die besorgte Priester formuliert haben, die ich gerne auch weiter zur Verfügung stelle.

4. Suche dir in deiner Gemeinde Frauen und Männer, die predigen: Es gibt sicher einige Leute, die genauso gut wie du oder  besser die Frohbotschaft verkünden können. Wichtig dabei ist nicht das Wissen, sondern die Kompetenz des gelebten Glaubens. Und lass sie regelmäßig zu Wort kommen. Mir wird berichtet, wo dies verantwortungsvoll gemacht wird, ist es sowohl für den Pfarrer als auch für die Gemeinde fruchtbar.

5. Suche nach Wegen, wie du den jungen Menschen in ihrer Suche nach Partnerschaft und geordneter Sexualität helfen kannst! Da braucht es keine Vorschriften von Rom. Einfach zu sagen, ihr dürft vor der offiziellen Eheschließung nicht miteinander ins Bett gehen, ist sicher keine Hilfe! Sie tun es ja trotzdem. Das ist zu billig!

Gott ruft heute auch Menschen in seinen engen Dienst (als Priester und Ordensleute), die vorher partnerschaftlich-sexuelle Erfahrungen gemacht haben. Oft haben sie das positiv erlebt. Es ist keine Hilfe, zu sagen, ihr müsst das beichten und dann ist alles okay. Sagt ihnen, sie sollen Gott Dank sagen für diese positiven Erfahrungen – ihr werdet damit andere Menschen viel besser verstehen! Aber versucht niemals, weder als Verheiratete noch als Priester und Ordensleute, doppelgleisig zu leben.

Die diözesanen Ermutigungsblätter

sollten auf diesem Weg Hilfestellungen anbieten! Ich glaube, dass uns der Mut zum Wachsenlassen in der Kirche oft fehlt (Mk 4, 26-29). Und das ist wenig evangeliumsgemäß, weil es Ausdruck des Unglaubens ist. Viele Hirten lassen sich von der Angst leiten. Christlicher Glaube wird sich heute nicht anders bewähren können als zur Zeit der frühen Kirche, nämlich in der Art, wie wir miteinander umgehen und von Gott erzählen. Der Schöpfergott hat sein Evangelium hineingeschrieben in die Seelen der Menschen! „Ich habe dich beim Namen gerufen – mein bist du!“ – und das gilt für alle Menschen. Es muss wieder durch unser Leben und unsere Verkündigung spürbar werden. Lebenstötendes darf nicht mehr als Tradition verkauft werden!

Die Gehorsamsstruktur in der Kirche führt zu unmündigen Menschen. Daher ist es klar, dass unter jenen, die mündig geworden sind, sich nur ganz wenige in diese Struktur einklinken – auch wenn sie den Ruf Gottes verspüren. Wenn sich da in unseren Breiten nicht grundsätzlich etwas ändert, wird der Priesternachwuchs weiter schwinden, obwohl dieser Beruf einer der schönsten ist, den ich mir vorstellen kann. Und das ist eine Existenzfrage der Kirche. Die Frage für die Zukunft der Kirche wird sein: Wie gehen wir mit dem Gehorsam um?

Die Kirche hat das Gewissen als letzte Instanz des Menschen anerkannt, aber im Innenraum der Kirche hat es kaum Platz. Wer sich nicht nach den Vorschriften der Kirche ausrichtet, hat mit Sanktionen zu rechnen (z.B. in der Gestaltung der Liturgie und im Wiederverheiratetsein usw.). So schafft es die Kirche, sich beste MitarbeiterInnen zu Gegnern zu machen (z.B.: Küng, Kohlmaier und viele hunderte andere MitarberInnen, die von der Kirchenleitung verletzt worden sind), statt ihre Kräfte für einen Reformprozess fruchtbar zu machen.

Das 2. Vatikanum definierte es so: „Im Innern seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sonder dem er gehorchen muss und dessen Stimme ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zur Unterlassung des Bösen anruft. … Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist….“ (Gaudium et spes Nr.16).

Kein Gesetz, kein Eid, keine Autorität, und sei es die des Papstes oder eines Führers kann und darf uns hindern, dem Gewissen zu folgen und selbst verantwortete Wege zu gehen  Wir müssen sie gehen, auch wenn sie uns Nachteile bringen.

P. Karl Maderner

Ein Kommentar

Kommentare sind geschlossen.