wiederverheiratet geschiedene – brief an Präfekt der Glaubenskongregation

die beiden Professoren, Dr. N. Scholl und Dr. H. Häring, haben einen interessanten brief an den Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Müller, geschickt zur thematik „wiederverheiratet geschiedene“:

 

Prof. Dr. Norbert Scholl                                                                   D-69259 Wilhelmsfeld, Angelhofweg 24 b

Prof. Dr. Hermann Häring                                                                D-72074 Tübingen,       Wächterstraße 61

14. November 2014

 

Eminenz, hochwürdigster Herr Kardinal Müller!

Wir erlauben uns, Ihnen diesen sehr ausführlichen Brief zu schreiben, weil wir beunruhigt sind durch verschiedene Pressemeldungen, in denen Worte von Ihnen kolportiert werden, die wir kaum für möglich halten können. So waren in kath.netfolgende Worte von Ihnen zu lesen: „Es gibt viele Medien, aber nur einen Mediator (Mittler), nämlich Jesus Christus und sein Evangelium. Deshalb kann das Wort Gottes auf keine Weise ignoriert oder verfälscht werden. Es muss vollständig angenommen werden. Die Kirche kann nicht ändern, was Christus gelehrt hat, weder vor noch nach der Synode.“ Bezüglich der Ehe seien das in erster Linie die Worte „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (http://www.kath.net/news/48155).

Wir gestatten uns, Ihnen dazu einiges vorzutragen, was Sie – lt. der uns bekannten Pressemeldungen ‑ nicht erwähnen, was aber auch zum Evangelium gehört, zum Wort Gottes, zu dem, „was Christus gelehrt hat“ und was daher „auf keine Weise ignoriert oder verfälscht werden“ darf.

 

Biblische Grundlagen: Ideal und Wirklichkeit

Das Wort Jesu zur Ehescheidung ist im Neuen Testament an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Überlieferungsschichten anzutreffen (vgl. 1 Kor 7,10-15; Mk 10,9. 11-12; Lk 16, 18; Mt 5,32; 19,9). Allerdings steht es jeweils in einem veränderten Wortlaut – ein Zeichen dafür, dass bereits die Urkirche dieses Jesuswort dem Wechsel der gesellschaftlichen Situation immer wieder neu angepasst hat.

  • Wahrscheinlich gibt Mk 10,9 ein genuines Wort Jesu wieder, das aus der „vormarkinischen katechetischen Sammlung“ stammt und das im Kern auch bei Paulus belegt ist: „Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht scheiden“ – nicht: „darf“, wie die Einheitsübersetzung den Satz wiedergibt. Auch Paulus schreibt so: „… die Frau soll sich vom Mann nicht scheiden“ – „der Mann soll die Frau nicht entlassen“ (1 Kor 7,10f.).
  • Die vermutlich älteste Überlieferung für ein ausdrückliches Verbot der Ehescheidung findet sich in Lk 16,18: „Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch; auch wer eine Frau heiratet, die von ihrem Mann aus der Ehe entlassen worden ist, begeht Ehebruch.“ Das jüdische Eherecht erlaubt die Scheidung in großzügiger Weise (vgl. Dtn 24,1). Dem Mann standen, zumindest vom Recht her, viele Möglichkeiten offen, die Ehe mit seiner Frau zu lösen. Beim Geschlechtsverkehr mit einer fremden Frau brach der Mann nicht seine eigene Ehe, wohl aber, wenn die fremde Frau verheiratet war, die Ehe ihres Mannes. Gerade hier wird deutlich, dass die Frau als Eigentum des Mannes angesehen wurde, der über sie fast wie über eine Sache verfügen konnte (vgl. Gen 29,16-21; Ex 20,17).

Aus diesem Grund formuliert Jesus sein Wort zur Ehescheidung ganz vom Mann her. Er hält den Männern vor Augen: Wer seine Frau entlässt, zwingt sie dazu, sich einen anderen Mann zu suchen, weil sie sonst wirtschaftlich nicht allein existieren kann. Jesus will die wahre Motivation der jüdischen Scheidungspraxis aufdecken und ruft den ursprünglichen, wahrhaft menschlichen Sinn der Verbindung zwischen Mann und Frau in Erinnerung. So sieht er die Ehe neu. Entgegen dem einseitigenRecht des Mannes, die Frau zu entlassen, bringt er die gleiche Würde und die Gleichberechtigung der Frau zur Geltung. Beide, Mann und Frau, sind zur gegenseitigen Treue gehalten und aneinander gebunden. Auf dem Hintergrund des jüdischenScheidungsrechts ist also die Parteinahme für die Frau als zentraler Punkt der Kritik Jesu anzusehen. Das ist die eigentliche Provokation des Wortes. Jesus will die Zuhörer aufrütteln, aber er will kein Gesetz aufstellen. „Die rechtssatzähnliche Qualifizierung jeder Scheidung und jeder Heirat von geschiedenen als Ehebruch kann eine gefährliche Verallgemeinerung werden und läuft Gefahr, den konkreten Menschen zu übersehen“ (U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus I/3, 102). Jesus sieht das Gesetz des Mose „als Ausdruck des lebensfördernden Liebeswillens Gottes… Für Jesus ist Gottes Gesetz eine Provokation menschlicher Freiheit, eine Herausforderung der Freiheit der Liebe.“ (R. Pesch, Freie Treue. Die Christen und die Ehescheidung, Freiburg 1971, 15). Das Jesuswort „ist nicht die Promulgation eines neuen Gesetzes, sondern ein eindringlicher Ruf zu freier Treue“ (Pesch, a.a.O., 16).

  • Das Markusevangelium (10,11-12) fügt unmittelbar im Anschluss an das eher allgemein gehaltene Wort Jesu über das Verbot der Trennung das Ehescheidungsverbot für den Mann und für die Frau hinzu: „Zu Hause befragten ihn seine Jünger noch einmal … Er antwortete ihnen: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch.Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet.“ Hier wird eine neue Situation erkennbar: Der Übergang in die hellenistisch-heidenchristliche Umwelt. Denn bei den Juden konnte nur der Mann die Frau entlassen, bei den Griechen aber auch die Frau den Mann.
  • Das Matthäusevangelium schiebt in das Jesus-Wort die sogenannte „Unzuchtsklausel“ bei einem Fall von Ehebruch ein: „Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus“ (Mt 5,32). Die matthäische Gemeinde muss, ca. 60 Jahre nach dem Tod Jesu, das Scheitern von Ehen unter Christen erfahren. Sie steht vor dem Dilemma, einerseits die provozierende Vision des Wortes Jesu aufrecht zu erhalten, andererseits nach gangbaren Wegen zu suchen, wie diese Vision der Ehe in freier Treue konkret gelebt werden kann. Anders als beim provozierenden strikten Verbot jeglicher Ehescheidung gilt in der Gemeinde des Matthäus, ca. 60 Jahre nach dem Tod Jesu, Ehebruch als Entschuldigungsgrund für eine Scheidung. Thomas Söding schreibt in seiner jüngsten Veröffentlichung zu diese Stelle: „Im Fall von porneía ist die Ehe zerstört oder nicht mehr bindend; eine zweite Heirat ist möglich.“ (Th. Söding, In favorem Dei, in: Graulich/Seidmaier [Hg.], Zwischen Jesu Wort und Norm, Freiburg 2014, 63). Das deutet auf einen realistischen Umgang mit der Realität, so schmerzlich auch das Ideal verletzt sein mag.

„Die Unzuchtklausel selbst lässt strukturell eine bei der Frau liegende Begründung für ihre Entlassung erwarten, b) Darum muss porneia auf ein unzüchtiges Verhalten der Frau bezogen werden. Es macht keinen besonderen Unterschied, ob man es näher als fortgesetzte Untreue, Kon­kubinat oder sonstwie beschreibt, auf jeden Fall ist ihr ehebrecherisches Verhalten getroffen“ (J. Gnilka, Das Matthäusevangelium. HthKNT I,1, Freiburg 1986, 168).

  • Mt 19, 9 bietet noch eine weitere Einschränkung: „Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, ‑ und eine andere heiratet, begeht Ehebruch.“ Aus dem Scheidungsverbot Jesu ist hier ein Wiederverheiratungsverbot geworden. Mit der Formulierung wird ein „Weg beschritten, der gesetzliche Regelungen einleitete und gesetzliches Denken förderte“ (J. GnilkaDas Matthäusevangelium. HthKNT I,2, Freiburg 1988, 154). Dieses Denken hat sich leider bis heute in der römisch-katholischen Kirche fixiert.
  • In der hellenistisch-heidenchristlichen Umwelt ist auch das so genannte Privilegium Paulinum angesiedelt (1 Kor 7, 10-16), das – trotz des Wissen um das Wort Jesu – eine Ausnahme gestattet: Wenn eine verheiratete Frau zur christlichen Gemeinde konvertiert, ihr Mann diesen Schritt aber nicht billigt und sich von ihr scheiden will, gibt Paulus in eigener Verantwortung diesen Ratschlag: „Er (der nicht-gläubige Partner) soll sich scheiden. Der Bruder oder die Schwester (also der christliche Partner) ist in solchen Fällen nicht sklavisch gebunden“ (1 Kor 7,15). Das heißt: er ist frei für eine Wiederheirat. Paulus hat Jesu Gebot nicht als Gesetz aufgefasst, das keine Ausnahmen kennt. Er versteht das Herrenwort nicht „als unter allen Umständen anzuwendende Regel für die Praxis“ (H. Merklein, Der erste Brief an die Korinther. ÖTK 7/2, Gütersloh 2000, 116). Dieses Privilegium Paulinum wird von der Kirche in neuerer Zeit sehr ausgeweitet – z.B. auf Erfordernisse der Mission im Falle der Polygamie (can. 1149 CIC).
  • Ähnlich ist die Lage beim so genannten „Privilegium Petrinum“, das nicht unmittelbar auf eine biblische Aussage zurückgeht. Der Papst kann „zugunsten des Glaubens“ eine so genannte „Naturehe“ (nichtsakramentale Ehe zwischen zwei Ungetauften oder „halbchristliche“ Ehe zwischen einer/m Getauften und einem/r Ungetauften) unter bestimmten Voraussetzungen durch Dispens lösen, und zwar unabhängig davon, ob die Ehe vollzogen war oder nicht. Zu den Voraussetzungen gehört, dass zumindest einer der beiden Partner während der Dauer der ersten Ehe nicht getauft war, dass die Ehe unheilbar gescheitert ist und dass der bittstellende Teil und sein künftiger neuer Ehepartner nicht schuld an dem Scheitern waren

Das NT legt also die für immer gültige Grundlage, die von Christen auch heute nicht bestritten wird, auch nicht in der aktuellen Diskussion. Aber zugleich zeigt es bleibend gültige Ansatzpunkte für die Suche nach gangbaren Wegen, die „die unbedingte Treue zum Gebot Jesus mit dem Sinn für das menschlich je Mögliche und pastoral Erforderliche verbinden. „Will man den Richtungssinn des Scheidungsverbots Jesu für die Gegenwart formulieren, muss von der Mitte und vom Ganzen des NT ausgegangen werden. Es ist nicht vertretbar, Schritte zur Linderung oder gar Lösung der Not eines einzelnen Menschen nicht zu wagen, um die grundsätzliche Kompromisslosigkeit der Treueforderung Jesu nicht zu gefährden. Jesus hätte demnach der Ehebrecherin auch nicht vergeben dürfen, sondern sie – zum Zeichen für die Ernsthaftigkeit seiner Weisung – der ihr zustehenden Strafe ausliefern müssen. Die Zuwendung zu jenen Menschen, die an der Vision Jesu scheitern, hat ebenfalls etwas Radikales und Provozierenden an sich, auch sie ereignet sich im Horizont der kommenden Herrschaft Gottes“ (Th. Pfammatter, Geschiedene und nach Scheidung wiederverheiratete Menschen in der katholischen Kirche, Fribourg 2002, 232). Vor dem Hintergrund dieser exegetischen Forschungslage scheint uns Ihre abweisende Bemerkung von „umstrittenen exegetischen Hypothesen“ unberechtigt. Gerade weil das Matthäusevangelium und Paulus sowohl das unmissverständliche Jesuswort nennen und im selben Atemzug von den genannten Ausnahmen sprechen, ist die für uns wichtige Folgerung kaum zu bestreiten: Beide neutestamentlichen Texte sehen zwischen dem Jesuswort und den genannten Ausnahmen keinen Widerspruch. Wir können davon ausgehen, dass sich Matthäus und Paulus in ihrer Gesamtheit an die „klare Lehre Christi halten.“ (G. L. Müller, Zeugnis für die Macht der Gnade, in: R. D. Dorado (Hg.), >In der Wahrheit Christi bleiben<, Würzburg 2014, 118).

 

Alte Kirche: Modifikationen der Duldung

  • Die Auffassung, der Mann sei verpflichtet, die ehebrecherische Frau zu entlassen, besteht in der Alten Kirche weiter. So heißt es im „Hirten des  Hermas“ (ca. 145): Zwar werde der Mann, der mit der im Ehebruch verharrenden Frau weiterlebt, ihrer Sünde teil­haftig und Genosse ihres Ehebruches. Aber auch Männer und Frauen, die Ehebruch begangen haben, sollten von ihren Ehepartnern und ‑partnerinnen wieder aufgenommen werden, wenn sie bereuen (mand  IV,1,5.8, in: SC 53, 155.157). Ähnlich äußert sich Tertullian (adv. Marc. 4,34: CSEL 47,534). Ein anschauliches Beispiel gibt Origenes (+254) in seinem Matthäus-Kommentar: „Schon haben auch einige Vorsteher der Kirche gegen das, was geschrieben steht, gestattet, dass eine Frau zu Lebzeiten des Mannes heiraten kann. Sie handeln damit gegen das Wort der Schrift…. [1 Kor 7,39 und Rom 7,3 werden angeführt], freilich nicht gänzlich unvernünftig. Man darf nämlich annehmen, dass sie dieses Vorgehen im Widerspruch zu dem von Anfang an Gesetzten und Geschriebenen zur Vermeidung von Schlimmerem zugestanden haben“ (In Matth. 14,23: BGL 30,64f.). Trotz des Widerspruchs zum Wort der Schrift verurteilt auch Origenes diese Praxis nicht: „Wegen einer bei der Frau entdeckten Unzucht (wird) die Auflösung der Ehe gestattet“ (In Matth. 14,24: BGL 30,65). Merkwürdig ist, dass Origenes offenbar nur bereit ist, dem Mann eine Wiederheirat zu gestatten.

Diese Linie wird auch in der Ostkirche fortgesetzt. Basilius von Caesarea (+379) schreibt: „Der Mann darf sich nicht von der Frau noch die Frau vom Manne trennen, wenn nicht der eine von ihnen beim Ehebruche ertappt wurde oder in der Frömmigkeit gehindert wird“ (Regulae morales 73,1; zit. nach Th. Pfammatter, a.a.O., 274). Wenn eine Trennung geschieht, dann gilt: „Bei einem verlassenen Mann muss man auf die Ursache sehen, weswegen er verlassen wurde. Wenn sich zeigt, dass sie ohne Grund von ihm fortgegangen ist, verdient er Verzeihung, sie aber Strafe. Die Verzeihung wird ihm gewährt, damit er an der Kirchengemeinschaft teilnehmen kann“(Ep. 199, can. 35: BGL 3,127).

Die Mehrfach-Überlieferung des Jesus-Worts mit seinen unterschiedlichen neutestamentlichen Adaptionen verpflichtet uns auch zuökumenischem Respekt vor den Wegen der anderen Kirchen und zum selbstkritischen Umgang mit der je eigenen Tradition. Dass der „Katechismus der Katholischen Kirche“ von 1993 Mt 5,32 und 19,9 mit Schweigen übergeht, erscheint auf diesem Hintergrund schwer verständlich. Dagegen hat R. Pesch schon 1971 geschrieben: „Die christliche Gemeinde darf Jesu Gebot nicht als Recht gläubigen Christen aufzwingen, deren Ehe zerbrochen wurde. Die Gemeinde darf Jesu Wort nicht zu einem Gesetz machen, mit dem sie gutwilligen, aber alleingelassenen Gläubigen ein Joch aufzwänge, mit dem sie den Menschen Lasten auflegte, von denen sie Jeus befreien wollte. … Die christliche Gemeinde muss Jesu Weisung ernst nehmen, etwa darin, dass sie hilft, ein humanes Klima zu schaffen, in dem die gottgewollte Einheit der Ehe realisiert, in dem das Scheitern menschlich und christlich getragen werden kann…. Die christliche Gemeinde muss Jesu Denken, seinen Appell an unser Herz, unser Gewissen, unsere Liebe übernehmen; sie darf nicht Unschuldige büßen lassen und sich nicht zum harten Richter über Schuldige aufwerfen; sie muss vielmehr zur Vergebung von Schuld und zur Eröffnung von neuem, glücklicherem Leben beitragen…. Tut sie dies, so hält sie Jeus freie Treue“ (Pesch, a.a.O., 76).

 

Das Zeugnis der weiteren Tradition

Auch die weitere  kirchliche Tradition kommt vor dem Konzil von Trient zu keiner einheitlichen Lösung.

In der Zeit der Alten Kirche wurde eine Zweitehe von mehreren Kirchenvätern auch nach dem Tod des ersten Ehepartners abgelehnt; diese Regelung klingt noch rigoroser als die gängige Überzeugung, dass eine Ehe samt bindender Nachwirkungen mit dem Tod eines Ehepartner endet. Weil die Kirche damals jedoch kein eigenständiges Eherecht beanspruchte, über sie also nicht in juridischen Kategorien dachte, gab es aus dem Bereich der Kirchenordnung kaum Aussagen über die Ehescheidung, ‑ eine Situation, die mit der unsrigen in vielem vergleichbar ist. Das Eherecht wurde durch die weltliche Gesellschaft geregelt, was auch Scheidungsmöglichkeiten einschloss. So fällt auf, dass von der Kirchenordnung dem nichts entgegengestellt wurde; dennoch sah man dadurch das Ideal der einen Ehe nicht beeinträchtigt. Die Kirche begnügte sich mit der Segnung von Ehen.

Erstmals machte die Synode von Elvira (Spanien) eine klare Aussage zugunsten der Unauflöslichkeit der Ehe: „Ebenso soll einer gläubigen Frau, die ihren gläubigen ehebrecherischen Mann verlassen hat und einen anderen heiratet, verboten werden, ihn zu heiraten; wenn sie ihn doch heiratet, soll sie nicht früher die Kommunion empfangen, als dass der, den sie verlassen hat, aus der Welt geschieden ist, es sei denn vielleicht, dass die Notlage einer Krankheit dazu drängte, sie zu reichen“ (DH 117). Der genaue Zeitpunkt der Versammlung ist nicht bekannt (zwischen 295 und 314). Dieser Beschluss spricht ganz zugunsten der aktuell gültigen strengen Regelung. Allerdings ist die Geltung dieser Synode für die Gesamtkirche umstritten. Schließlich nahmen an ihr nur 19 spanische Bischöfe und 24 Priester teil.

Größer war die Zahl der Teilnehmer am Konzil von Arles (314). Zwar ergreift – auf den ersten Blick gesehen ‑ auch dieses Konzil für eine strenge Regelung Partei. Genau besehen kommt es aber zu einer differenzierten Folgerung. Das Konzil beschließt nämlich, denen, „die ihre Ehefrau beim Ehebruch überraschen – und zwar handelt es sich um die Christen, die noch jung sind und denen die Wiederheirat (sonst) verboten ist ‑, … den dringenden Rat zu geben, nicht zu Lebzeiten ihrer, wenn auch ehebrecherischen Frau eine andere Frau zu nehmen“ (Concilium Arelatense, ca. 11, in: CCL 148,11). Auffällig ist das Schwanken zwischen einem „Verbot“ und einem „dringenden Rat“ in einem Atemzug. Jedenfalls wird eine Wiederheirat dieser Männer nicht verurteilt und schon gar nicht mit Sanktionen belegt.

Die Konzilien von Vannes (zwischen 461 und 491) und Agde (506) bestätigen die bis ins späte 4. Jahrhundert in den Kirchen vorherrschende Praxis, dass ein Mann seine Frau wegen Ehebruch entlassen und eine andere heiraten kann (Th. Pfammatter, a.a.O., 254-257).

Mit der Zeit gewann die germanische Rechtsauffassung an Boden, nach der die Geschlechtsgemeinschaft zwischen Mann und Frau ehebegründend ist. Konsequenterweise wurde in diesem Rechtsraum Ehebruch, also Geschlechtsgemeinschaft mit einem anderen Partner, als eheauflösend angesehen – wie auch schon bei Mt 5,32. Neben anderen Scheidungsgründen des germanischen Rechts wurde von einigen Konzilien auch der Eintritt in ein Kloster als Grund für eine Eheauflösung anerkannt.

Während sich in der „westlichen“ (lateinischen) Kirche allmählich die (bis heute geltende) Praxis durchsetzte, für die sakramental gültige und vollzogene Ehe keine Scheidungsmöglichkeit mit Wiederheirat zuzulassen, ließen die Ostkirchen unter bestimmten Bedingungen eine Scheidung samt Wiederheirat zu..

Die Ostkirchen orientierten sich an der „Unzuchtsklausel“ im Matthäusevangelium. Neben Ehebruch ließ man auch andere „grobe Verfehlungen“ als Scheidungsgrund gelten. Am Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe wurde aber ebenso wie in der lateinischen Kirche festgehalten.

Vor allem setzte sich im Raum der Ostkirche(n) bis heute das rechtlich gar nicht streng zu normierende oder zu regelnde, immer auf den Einzelfall bezogene Prinzip der „Ökonomía“ durch. Das kirchliche Handeln weicht in Ausnahmefällen von dem streng gesetzlichen Weg ab – um des Seelenheiles willen, in Nachahmung der Barmherzigkeit und der in Christus erschienenen Menschenfreundlichkeit Gottes, der die Verlorenen, Gefallenen, Gescheiterten nicht im Stich lässt, sondern ihnen aufhilft. Es ist bemerkenswert, dass dieses Prinzip bis heute nie von einem Konzil oder vom Papst verurteilt wurde. Allerdings wird auch im ostkirchlichen Raum zunächst alles daran gesetzt, eine heilbare Ehe wirklich zu heilen und die Eheleute zu unauflöslicher Treue anzuhalten. Erst wenn das totale Scheitern ‑ das dem Tod der Ehe gleichkommt ‑ feststeht, wird dem reuigen Gläubigen die Möglichkeit einer Zweitehe eingeräumt. Voraussetzung ist: die Anerkennung der Schuld, weil ohne Aufarbeiten der Vergangenheit Vergebung und Neuanfang nicht möglich sind, und eine entsprechende Zeit des Wartens  oder der Trauer.

 

Das Konzil von Trient zu Ehescheidung und Wiederheirat

Dieses Konzil (1545-1563) hat sich ausdrücklich und ausführlich mit der Frage der Ehescheidung und Wiederheirat auseinandergesetzt. Seine Beschlüsse gelten bis heute als normativ. Umso wichtiger ist die Tatsache, dass sich dieses Konzil in seiner höchst verbindlichen Positionsbestimmung von der ostkirchlichen Praxis mitbestimmen ließ: „Wer sagt, die Kirche irre, wenn sie, gemäß der Lehre des Evangeliums und des Apostels, lehrte und lehrt: (a) dass das Eheband wegen Ehebruchs eines Gatten nicht aufgelöst werden könne, und (b) dass keiner von beiden, nicht einmal der Unschuldige, der keinen Anlass zum Ehebruch gegeben hat, eine andere Ehe schließen könne, solange der andere Gatte lebt, und (c) dass derjenige (bzw. diejenige), der eine Ehebrecherin (bzw. die einen Ehebrecher) entlässt und einen (eine) anderen (andere) heiratet, Ehebruch begehe: der sei ausgeschlossen“ (DH 1807).

Diese umständliche und schwer verständliche Formulierung ist nur zu verstehen aus dem Bestreben, die noch immer verbreitete Praxis, dem Mann im Falle eines Ehebruchs der Frau die Wiederverheiratung zuzugestehen. Vor allem aber wollte man die Union einzelner römischer Kirchenprovinzen (Venedig) mit den ihnen unterstellten Griechen in ihren östlichen Gebieten nicht gefährden. Daher wurde die Formulierung so gewählt, dass die Praxis der Ostkirchen nicht verurteilt wurde (vgl. R. Weigand, Das Scheidungsproblem in der mittelalterlichen Kanonistik. In: Theologische Quartalschrift 151 [1971], 52-60; 60).

Die Formel des Konzils besagt:

  • das Eheband kann auch nicht wegen Ehebruchs aufgelöst werden;
  • keiner von beiden kann zu Lebzeiten des anderen Gatten eine neue Ehe eingehen;
  • wer dies dennoch tut, begeht Ehebruch.

Wie ist dieser Kanon zu verstehen?

  1. Der Satz: „Die Ehe kann, auch wegen Ehebruchs, nicht aufgelöst werden“ definiert nicht die „absolute Unauflöslichkeit“ der Ehe, sondern bezieht sich (mit einem Fachausdruck der späteren Kirchenrechtslehre) auf die so genannte „innere Unauflöslichkeit“ durch die Eheleute selbst; von der so genannten „äußeren“ ist nicht die Rede. Niemandem wird das Recht zugesprochen, aus freiem Willen und sofern er/sie es in eigener Macht hat, eine Ehe aufzulösen, also dem Partner das gegebene unbedingte Treuewort zu entziehen.
  2. Die Formel: „Die Kirche hat nicht geirrt …“ bezieht sich, wie die Konzilsdebatten ganz eindeutig belegen, auf die Entscheidungskompetenz bzw. die Rechtsetzungsvollmacht der westlichen Kirche. Die Kirche hat, indem sie diese Entscheidung getroffen hat, ihre Kompetenz, ihre Rechtsbefugnis nicht überschritten. Das Tridentinum hat mit diesem Kanon die Praxis der lateinischen Kirche legitimiert; die andersartige Praxis der Ostkirche hat es zumindest geduldet und nicht verurteilt. Diese Formulierung: „Die Kirche hat nicht geirrt…“ ist offensichtlich zugunsten der Orthodoxen eingebracht worden.

Daraus folgt: Das Konzil hat die Unauflöslichkeit der Ehe nicht als universale, bedingungslos gültige Offenbarungswahrheit definieren wollen und nicht als solche definiert. Die Rücksicht auf die entgegengesetzte Praxis der orientalischen Kirche(n) sowie die Verurteilung der reformatorischen Bestreitung der kirchlichen Lehr- und Gesetzgebungsvollmacht müssen als Hintergrund für das Verständnis der inhaltlichen Aussage des betreffenden Trienter Kanons immer bewusst bleiben. Mit Ihrer gegenteiligen Interpretation des einschlägigen Textes von Trient („das trifft aber nicht zu“) können Sie ebenso wenig auf eine breitere Zustimmung hoffen wie Ihre Begrünung überzeugen kann. Sie erklären: „Die Kanonisten sprachen immer wieder von einer missbräuchlichen Praxis“ (G.L. Müller, a.a.O. 120). Dabei übersehen Sie, dass sich das Kirchenrecht zu allen Zeiten an die dogmatischen Grundlagen zu halten hat, nicht umgekehrt.

Ausführlich zum Ganzen: Thomas Pfammatter, Geschiedene und nach Scheidung wiederverheiratete Menschen in der katholischen Kirche: Kriteriologische Fundamente integrierender Praxis. Reihe Praktische Theologie im Dialog 23, Universitätsverlag Freiburg/CH 2002. Vgl. auch: H. Jorissen, die Entscheidung des Konzils von Trient zu Ehescheidung und Wiederheirat und ihr Hintergrund, in: Th. Schneider (Hg.), Geschieden – Wiederverheiratet – Abgewiesen, Freiburg 1995, 112-126.

 

Konsequenzen

Die „rigorose“ Auffassung der absoluten Unauflöslichkeit der Ehe kann sich nicht auf ein Jesus-Wort bzw. auf die Treue zum Worte Jesu berufen. Eine solche Berufung ist brüchig und fragwürdig, besonders wenn daraus ein absolut bindendes Gesetz abgeleitet werden soll.

Das Konzil von Trient eröffnet einen Handlungsraum, der beides umschließt:

o   die Sorge um den Bestand der Ehe und

o   die pastorale Hilfe bei unheilbar zerbrochenen Ehen.

Die biblischen Grundlagen, die historische Entwicklung und die kirchlichen Dokumente machen deutlich, dass es durchaus Spielräume für eine Reform gibt. In Sachen Ehescheidung und Wiederheirat gibt es einen größeren Spielraum, als ihn die westliche, römische Kirche faktisch praktiziert. Insbesondere muss die Auffassung von der „absoluten Unauflöslichkeit“ der gültig geschlossenen und vollzogenen sakramentalen Ehe einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Die Umfrage zu Fragen von Sexualmoral und Akzeptanz von Lebensgemeinschaften im Vorfeld der Vorbereitungen zur außerordentlichen Bischofssynode 2014 hat gezeigt, wie stark das faktische Leben von Katholikinnen und Katholiken von dem abweicht, was die Lehre darstellt.

Weder die Schrift noch die Tradition können aus sich selbst heraus beanspruchen, unfehlbar die Wahrheit zu verbürgen. „Unfehlbar ist eine Lehre erst dann, wenn dies zweifelsfrei erwiesen ist. … Deshalb kann und muss das Suchen des allgemeinen Lehramtes nach der Wahrheit, wie der Glaube evangeliumsgemäß weitergegeben werden kann und muss, auch dann fortgesetzt werden, wenn das besondere Lehramt eine (letzt-)verbindliche Lehrentscheidung getroffen hat. … Im Sinn der weiteren Suche nach der Wahrheit ist die lehramtliche Position auf ihre Begründungszusammenhänge hin kritisch zu reflektieren. Dabei sind die historischen Umstände ebenso zu beachten wie die Aussageabsicht, die Einordnung in den Gesamtglauben und der Rang innerhalb der Hierarchie der Wahrheiten. Diese Aufgabe der kritischen Reflexion kommt allen Gliedern der Kirche zu, insbesondere aber der Theologin und dem Theologen. Schließlich hat die theologische Wissenschaft den Auftrag, dadurch zum Aufbau der Kirche beizutragen, dass die der Kirche anvertraute Wahrheit immer tiefer erforscht, wissenschaftlich-argumentativ dargestellt sowie zeitgemäß verkündet wird.“ (S. Demel, Einführung in das Recht der katholischen Kirche, Darmstadt 2014, 107f.)

Angesichts der schon im Neuen Testament erkennbaren Ausnahmeregelungen und der daraus resultierenden uneinheitlichen Praxis in der kirchlichen Tradition erscheint es mir dringend geboten, dass die kommende Bischofssynode im Hinblick auf die Wiederverheiratung Geschiedener dem Beispiel des Apostels Paulus und des Evangelisten Matthäus, der Praxis der frühen christlichen Gemeinden und Konzilien und der heutigen Regelung der Fragen in den Kirchen des Ostens folgt und nach Möglichkeiten und Wegen sucht, wie in Treue zur Weisung Jesu den betroffenen Katholiken und Katholikinnen geholfen werden kann.

Wir sind zuversichtlich, dass Sie und Ihre Mitbischöfe zusammen mit Papst Franziskus eine evangeliumsgemäße, nicht nur barmherzige, sondern vor Schrift und Tradition auch in vollem Sinn gerechtfertigte  Lösung finden werden.

Mit herzlichen Grüßen

(Prof. Dr. N.. Scholl)                                                                                     (Prof. Dr. H. Häring)