Palmsonntag: „Ich bin’s nicht!“

Impuls von Elisabeth Bundschuh: „Die Passionen von J.S. Bach“

Unter dem Motto „Musik öffnet mir den Himmel“ werden heuer in der Fastenzeit „Lieblingsmusikstücke“ vorgestellt. Ich kann unmöglich das eine „Lieblingsstück“ benennen, aber vielleicht hat mich in meinem Leben keine Musik mehr berührt und auch gefordert als die Bachschen Passionen.

Vom Dirigenten Theodor Currentzis stammt die Aussage: “Musik ist kein Vergnügen, es ist eine Operation an der offenen Seele“. Das trifft sicher auf die ungeheuer tiefgehende Musik Bachs zu. Bach vertont in seinen Arien, Rezitativen, Chören und Chorälen die biblische Leidensgeschichte und barocke Texte, die unseren Ohren vielleicht fremd erscheinen, aber von einer beeindruckenden Bildhaftigkeit, Ausdruckskraft und manchmal auch Zärtlichkeit sind. Bach hat nicht nur Werke von unfassbarer Schönheit und erschreckender Größe geschaffen, der „5. Evangelist“, wie Bach immer wieder genannt wird, stellt sich mit seinen Passionen auf die Seite der Gefolterten, Entrechteten, Getöteten und ist damit von einer beklemmenden Aktualität.

Die evangelische Theologin Dorothee Sölle schreibt dazu:
Was tut diese Musik mit mir? Sie bewegt mich, sie rührt mich an, movere, und sie belehrt mich, docere, sie führt mich in die Realität. O Mensch bewein dein Sünde groß. Diese Musik tut beides mit mir, movere und docere, sie macht mich fühlen und sehen, was ich nicht fühlte und lieber nicht sehen wollte.

In der Johannespassion gibt es ein Rezitativ, das die Gefühle des Petrus beschreibt, nachdem ihm bewusst wird, dass er Jesus verleugnet hat – achten Sie darauf, wie genial und gleichzeitig herzzerreißend Bach das bitterliche Weinen des Petrus in Musik gefasst hat:

Johannespassion, Rezitativ Nr. 18: (Johannes 18,24-28)
Und Hannas sandte ihm gebunden zu dem Hohenpriester Kaiphas. Simon Petrus stund, und wärmete sich, da sprachen sie zu ihm: Bist du nicht seiner Jünger einer? Er leugenete aber und sprach: Ich bin’s nicht!
Spricht des Hohenpriesters Knecht einer, ein Gefreundter des, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte: Sahe ich dich nicht im Garten bei ihm? Da verleugnete Petrus abermal, und alsobald krähete der Hahn. Da gedachte Petrus an die Worte Jesu […], und ging hinaus und weinete bitterlich.

      Musikbeispiel

Petrus erlebt in seiner dunkelsten Stunde sein Versagen. Er, der den Mund so voll genommen hat, muss sein Scheitern eingestehen. Aber für Gott gehören Versagen und Scheitern dazu, er gibt Petrus eine neue Chance, die dieser dann auch ergreift. Gott verwirft nicht, wir sind in den Passionen unseres Lebens nicht allein – wir müssen nur offen sein für die Angebote Gottes.

Auch das kann Palmsonntag sein: die Hoffnung, dass alles gut werden wird, die Gewissheit der bedingungslosen Liebe Gottes, die Musik der Passionen, die trotz unseres Versagens und aller Trauer Ostern erahnen lässt, ein Hauch von Leben mitten im Tod.

Amen.

Choral: Petrus, der nicht denkt zurück >>