predigt vom 06. sep. 2012 – „effata“

Liebe ChristInnen!

„Effata – Öffne dich!“ – Diesen Aufruf Jesu möchte ich heute auf unsere Kirche hin deuten, weil ich meine, dass auch wir als Kirche ganz dringend dieses „Effata – Öffne dich!“ brauchen. Der vor wenigen Tagen verstorbene Kardinal Carlo Maria Martini, der 23 Jahre lang Erzbischof von Mailand war, eine der größten Diözesen Europas, hat kurz vor seinem Tod noch ein Interview gegeben, wo er einleitend festhält: Die Kirche in den Wohlstandsländern Europas und Amerikas ist müde geworden. Unsere Kultur ist in die Jahre gekommen, unsere Kirchen sind groß und leer, die kirchliche Bürokratie nimmt zu, unsere Rituale und Gewänder sind pompös.“

Kardinal Martini vertritt die Ansicht – und man glaubt es kaum, derartige Worte aus dem Mund eines Kardinals zu hören: „Die Kirche ist 200 Jahre hinter ihrer Zeit. Warum wachen wir nicht auf? Haben wir Angst? Angst statt Mut?“ Und er versucht einen Weg aus dieser Sackgasse aufzuzeigen, wenn er vorschlägt: „Die Kirche − angefangen vom Papst und den Bischöfen − muss sich zu ihren Fehlern bekennen und einen radikalen Weg der Veränderung gehen.“

Kardinal Martini empfiehlt gegen die Müdigkeit, die unsere Kirche derzeit prägt, drei Heilmittel. Der erste Schritt ist für ihn die Umkehr, die sich z. B. auch in der kirchlichen Sexualmoral zeigen muss, damit die Kirche auch auf dem Gebiet der Sexualität zu einer glaubwürdigen Gesprächspartnerin wird. Neue Wege seien hier notwendig.

Ein zweites Heilmittel für den Kardinal ist das Wort Gottes: Das Zweite Vatikanische Konzil gab den Katholiken wieder die Bibel in die Hand. Aber können sie die Heilige Schrift verstehen? Wie finden Katholiken einen selbstbewussten Umgang mit dem Wort Gottes? Nur wer dieses Wort in sein Herz aufnimmt, kann beim Neuaufbruch der Kirche mitmachen und in persönlichen Fragen gute Entscheidungen treffen. Dazu braucht es nur Stille, Hören, Lernen, Fragen und Warten, wenn ich es nicht fassen kann. Nicht der Klerus und nicht das Kirchenrecht können die Innerlichkeit des Menschen ersetzen. Alle äußeren Regeln, Gesetze und Dogmen sind dazu da, um die innere Stimme des Menschen zu klären und die Geister zu unterscheiden.“

Und als drittes Heilmittel nennt Kardinal Martini die Sakramente. Die Sakramente sind keine Instrumente zur Disziplinierung, sondern eine Hilfe für die Menschen an den Wendepunkten und in den Schwächen des Lebens. Hier spricht der Kardinal vor allem wiederverheiratet Geschiedene an. Er meint, dass wiederverheiratet Geschiedene keinesfalls ausgeschlossen werden dürfen und schlägt vor: „Die Frage, ob Geschiedene zur Kommunion gehen dürfen, sollte umgedreht werden. Wie kann die Kirche den Menschen, deren Beziehung schwierig oder gescheitert ist, mit der Kraft der Sakramente zu Hilfe kommen?… Bringen wir Sakramente zu den Menschen, die neue Kraft brauchen?“

Ja, in all diesen Aussagen spüre ich etwas von diesem „Effata – Öffne dich!“, von dem uns das heutige Evangelium erzählt hat. Als Seelsorger möchte ich mich hier vor Ort genau dafür einsetzen, dass Menschen sich nicht ausgeschlossen fühlen von unserer Kirche, auch nicht von unseren drei Pfarrgemeinden. Als Seelsorger möchte ich „die Welt verändern“. Und ich zitiere ein letztes Mal Kardinal Martini, der in seinem überaus lesenswerten Buch „Jerusalemer Nachtgespräche“ meint (Seite 31): „Die Welt verändern heißt: den Menschen ihre Ängste nehmen, Aggressionen eindämmen, die Ungerechtigkeiten zwischen Arm und Reich abschaffen. Und vor allem: den Menschen Heimat geben, damit sie sich aufgehoben fühlen, ob als Kleinkind, als Fremder, als Alter, als Sterbender oder als Kranker“„Effata – Öffne dich!“ – heute und jeden Tag aufs Neue bis in Ewigkeit.