4. Fastensonntag: Gesund lebt, wer die größere Gerechtigkeit Jesu im Blick hat

Fastenzeit 2017:
„Gesund lebt, wer Freude hat an der Weisung des Herrn.“
Mensch, wo bist du? Gott, wo bist du?

Jeden Sonntag hören wir eine Weisung, die uns gut tut, die uns gesund machen kann.

Jesu Mahl mit den Sündern

4. Fastensonntag:
Gesund lebt, wer die größere Gerechtigkeit Jesu im Blick hat.

Einleitung:
Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, was gerecht und was ungerecht ist. Gerechtigkeit erleben wir als wohltuend, aber sie ist schwer zu erreichen. Das „Gießkannenprinzip“: „Jedem das Gleiche“ reicht oft nicht aus. Heilsam ist es, die größere Gerechtigkeit Jesu im Blick zu haben, die dem anderen nicht nur gibt, was ihm zusteht, sondern, was er wirklich braucht. Solche Gerechtigkeit tut beiden gut, dem, der sie empfängt und dem, der sie ermöglicht.

Fasten muss nicht verstanden werden als große Entbehrung, sondern vielmehr als Umkehr und als Aufbruch in neue Räume, die uns aufatmen und leben lassen.

 

Lesung: Jes 58, 5a. 6-8. 11b
Ist das ein Fasten, wie ich es liebe, ein Tag, an dem man sich der Buße unterzieht: wenn man den Kopf hängen lässt, so wie eine Binse sich neigt, wenn man sich mit Sack und Asche bedeckt?
Nein, das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen.
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte und deine Wunden werden schnell vernarben. Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach.
Der Herr wird dich immer führen, auch im dürren Land macht er dich satt und stärkt deine Glieder. Du gleichst einem bewässerten Garten, einer Quelle, deren Wasser niemals versiegt.

 

Evangelium: Mt 9,1. 9-13
Jesus stieg in das Boot, fuhr über den See und kam in seine Stadt.
Als Jesus weiterging, sah er einen Mann namens Matthäus am Zoll sitzen und sagte zu ihm: Folge mir nach! Da stand Matthäus auf und folgte ihm.
Und als Jesus in seinem Haus beim Essen war, kamen viele Zöllner und Sünder und aßen zusammen mit ihm und seinen Jüngern.2
Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu seinen Jüngern: Wie kann euer Meister zusammen mit Zöllnern und Sündern essen?
Er hörte es und sagte: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.
Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.

 

Predigt von Pfarrer Dietmar D. Stipsits:

Liebe ChristInnen!

In der Zeit, in der Papst Johannes XXIII. noch Patriarch von Venedig war, erhielt er eines Tages den Hinweis, einer seiner Priester sei Alkoholiker. Darauf erklärte der damalige Angelo Roncalli (= Joh. XXIII.), wie er damals noch hieß, seinem Sekretär: „Da müssen wir hin!“ Vor dem Pfarrhaus angekommen, verwies man die beiden ins nächste Gasthaus, und Angelo Roncalli schickte seinen Sekretär, den Priester zu holen. Der Sekretär kam zurück mit der Auskunft: „Sein Hut hängt da, aber er ist nicht zu sehen.“ Darauf Roncalli: „Wenn der Hut da ist, ist auch der Mann da.“

Tatsächlich kam der Sekretär einige Minuten später mit dem Priester aus dem Gasthaus, und Johannes ging mit ihm in den Pfarrhof. Machen wir hier zunächst einmal halt, bevor wir vom Ausgang dieser Begegnung erfahren. Bei einem solchen Vier-Augen-Gespräch würde ich gerne ein Mäuschen sein. Was könnte sich hier abspielen? – Sicher ein Gespräch, das dem Priester den Ernst der Lage vor Augen führt. Er hat schließlich eine seelsorgliche Verantwortung. Viele Gemeindemitglieder nehmen Anstoß am Verhalten des Priesters. Viele nehmen ihn auf Dauer auch nicht mehr ernst. „Der sauft ja, was willst mit dem!“

Vielleicht hätte Roncalli dem Priester erzählen lassen, wie es ihm geht, was los sei. Vielleicht wären Hilfsangebote von Roncalli vorgeschlagen worden oder eine Therapie. Und was ist damals wirklich geschehen? Es wird nur in wenigen Worten berichtet: Johannes bot dem Priester einen Stuhl an und sagte: „Bruder, setz dich. Ich möchte nämlich bei dir beichten.“

Was mag in dem Priester in diesem Augenblick vorgegangen sein? Alles hat er erwartet, aber nicht das! Nicht sein Suchtproblem, nicht das öffentliche Ärgernis in der Gemeinde sind die Themen. Da setzt sich sein Vorgesetzter Seite an Seite neben ihn und bekennt seine eigenen Unzulänglichkeiten und seine Schuld. Da nimmt sein Vorgesetzter ihn in der Rolle ernst, die er eigentlich leben möchte und an die er fast nicht mehr glauben konnte, nämlich Seelsorger zu sein für die Menschen.

Angelo Roncalli, der spätere Johannes XXIII., hatte begriffen, was sein Gegenüber in diesem Augenblick am meisten brauchte. Ich denke, dass diese Begegnung etwas aufleuchten lässt von der etwas anderen Gerechtigkeit Jesu und seiner Barmherzigkeit, die nicht Vergangenes aufrechnet oder demütigt, sondern die aufbaut und ermutigt, die tatsächlich gesundmacht.

Auch von Jesus wird im heutigen Evangelium eine Begegnungsgeschichte kurz und knapp erzählt. Die Adressaten sind die oft selbstgerechten Frommen – damals wie heute. Auch Jesus sagt zum Zöllner Matthäus bloß: „Folge mir nach!“ In Sekundenbruchteilen muss da etwas Befreiendes passiert sein in Kopf und Herz des Matthäus. Endlich einer, der ihn nicht festnagelt auf seinen Beruf, bei dem er mit den verhassten Römern zusammenarbeitet und seinen Landsleuten das Geld aus der Tasche zieht – natürlich auch zu seinem eigenen Gewinn.

Aber, so können wir fragen, ist das Verhalten Jesu nicht doch ein bisschen blauäugig? Sicher, auch ein Sünder wie der Zöllner Matthäus kann sich ändern. Aber muss er nicht erst einmal ein paar gute Werke nachweisen und zeigen, dass er sich wie ein frommer Israelit verhält? „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, lautet ein altes Sprichwort.

Jeder weiß doch, wie viele mühsame Schritte es braucht, egal ob es ein straffällig Gewordener ist, der auf den rechten Weg zurückkehren, oder auch ein Suchtkranker, der von seiner Abhängigkeit loskommen will. Bewährungshelfer sind dabei wichtig. Ohne Kontrolle kommt es schnell zu einem Rückfall.

Ich denke, die Bewährungshelfer Jesus und Angelo Roncalli werden das auch gar nicht abstreiten. Aber sie zeigen, worauf es zuallererst ankommt: dass da jemand wieder an sich selber glauben kann, weil ein anderer ihm vertraut und an seine guten Möglichkeiten glaubt. Es sind oft nicht die großen Worte, sondern die einfachen Gesten und Zeichen, die helfen, dass Menschen ihre Selbstachtung wiedergewinnen und ungeahnte Fähigkeiten freisetzen für einen Neubeginn. Roncalli setzte sich auf einen Stuhl neben dem Priester; Jesus legte sich an einen Tisch mit Sündern.

Die Barmherzigkeit Jesu mit ihren unerwarteten Auswirkungen hat die Gerechten und Frommen seiner Zeit verstört. Verstört sie auch uns heute, mich? Ich mache die Nagelprobe. Ich stelle mir den unangenehmsten Zeitgenossen vor, den ich kenne, das schwärzeste Schaf der Verwandtschaft, die ungerechteste Mitarbeiterin, die… oder den… da fällt mir schon jemand ein.

Kann ich mir trotz allem „Wenn und Aber“ vorstellen, mit dieser Person an einem Tisch zu sitzen? Hätte ich den Mut, ein ehrliches Wort oder eine wohlwollende Geste zu riskieren? Vielleicht hat mein Gegenüber auf einen solchen Menschen schon lange gewartet, der nicht nach dem Motto handelt „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Vielleicht zeigt sich mein Gegenüber gar nicht so unverbesserlich, wenn er spürt: Da ist einer, der sich zu seinen eigenen Fehlern bekennt (wie Roncalli) oder der meinen guten Möglichkeiten traut (wie Jesus) frei nach dem Motto: „Kontrolle mag ja ganz gut sein, aber Vertrauen ist besser!“ Gesund lebt, wer diese Gerechtigkeit Jesu im Blick hat und sie lebt – heute und bis in Ewigkeit.

 

Fürbitten:

Menschliches Bemühen und Gesetze allein reichen nicht aus, um Gerechtigkeit herzustellen. Guter Gott, wir bitten dich:

  1. Um mehr Gerechtigkeit auf der Welt, bei der Verteilung der Macht, der Güter und des Reichtums.
  1. Um mehr Gerechtigkeit in der Politik, in der Wirtschaft und in der Arbeitswelt.
  1. Um mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern und den Generationen, bei der Verteilung der Freuden und der Lasten.
  1. Um mehr Gerechtigkeit in der Kirche, den kirchlichen Einrichtungen und den Pfarrgemeinden.
  1. Um mehr Gerechtigkeit in meinem ganz persönlichen Leben, in meinen Urteilen und in meinem ganzen Verhalten.

Du, Herr, zeigst uns, wie unser Leben gelingen kann, in Christus unserem Bruder. Amen.

 

Meditation:

Gott, wo bist Du?
Siehst Du nicht die himmelschreienden Ungerechtigkeiten?
Warum fährst Du nicht drein mit einem Blitz? – – –

Weil ich nicht Zeus bin – sondern Jahwe!
Jesus ist mein Blitzlicht
Und mit dem Hl. Geist bin ich dreingefahren!
Mensch, wo bist Du?
Lenke Deine Schritte auf den Weg der Achtsamkeit.
Heile die Welt mit dem Herzen der Barmherzigkeit.
Durch Deine Wärme machst Du Dir alle, die Dir begegnen,
liebenswert und zärtlich.
Das Jahr der Barmherzigkeit ist nie vorbei!