Morgengedanken – „Was gibt mir Halt?“

Sonntag, 10. Jän.2021:

Auf der Suche nach Halt?

Seit vielen Jahren treibt mich als Seelsorger die Frage um: „Was gibt den Menschen von heute Halt?“ Dass es seit Längerem schon nicht mehr z. B. unsere Sonntagsgottesdienste sind, liegt auf der Hand. Laut der letzten veröffentlichten Statistik aus dem Jahr 2018 waren es damals nur mehr knapp 10 Prozent, die in Österreich am Sonntag den röm.-kath. Gottesdienst mitfeierten. Da hilft es m. E. auch wenig, wenn wir als Hauptamtliche unserer Kirche nach wie vor von der Sonntagspflicht sprechen. Was bringt das?

Und trotzdem spüre ich bei Eltern, die ihr Kind taufen lassen, oder beim Brautpaar, das seinen Trauungsgottesdienst vorbereitet, oder beim Gatten, der nach 67 Ehejahren binnen weniger Wochen nach der Diagnose Krebs seine Frau begraben muss, die unbändige und tiefe Ur-Sehnsucht nach Halt und Sicherheit.

Natürlich könnte ich jetzt auf die zahllosen Ratgeberbücher hinweisen. Ich will einen anderen Weg gehen mit meinen Morgengedanken, einen sehr persönlichen. Ich will aufzeigen, was mir Halt gibt in meinem eigenen Leben in der Hoffnung, dass meine Erfahrungen anstiften, sich mit der Frage auseinanderzusetzen: „Was gab und gibt mir Halt in meinem Leben?“

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Montag, 11. Jän. 2021:

Bibel

Halt gibt mir die Bibel. Nach über 23 Priesterjahren sind mir die meisten Bibelstellen, die im Laufe des dreijährigen Lesezyklus in der Liturgie vorgetragen werden, sehr geläufig geworden. Trotzdem ist die Bibel für mich nach wie vor ein Buch, dessen Geschichten mir helfen, mein Leben erfüllt zu gestalten. Die Bibel ist für mich ein Hoffnungs-Buch, das mir auch vermittelt, dass viele menschliche Situationen und Erfahrungen von damals jenen von heute sehr ähnlich sind.

Wenn ich nur an die Schöpfungserzählung am Beginn der Heiligen Schrift denke, dann wird mir damit gleich eine Grundhaltung mitgeteilt, wie Gott seine Schöpfung und damit auch mich persönlich sieht: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut.“ (Gen 1,31) Da sind die Psalmen, die auf so unterschiedliche Lebenserfahrungen reagieren und mir zeigen, wie verschieden mein Beten sein kann, um Halt zu finden. Oder die vielen Hoffnungstexte z. B. im Jesajabuch, die mir sagen: Auch in schwierigsten, ja aussichtslosen Momenten ist und bleibt Gott an deiner Seite und rettet dich. Ja, die Bibel gibt mir immer wieder Halt.

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Dienstag, 12. Jän. 2021:

Gottesdienste

Auch wenn Gottesdienste zu einem Minderheitenprogramm für die meisten Gläubigen von heute geworden sind, spür ich für mich, dass dieses regelmäßige Zusammenkommen am Sonntag – an den Wochentagsgottesdiensten feiern bei uns in den letzten Jahren ja wirklich nur mehr ganz wenige Menschen mit – doch wichtig ist, weil es mir Halt gibt. Das fortlaufende Hören der verschiedenen Lesungs- und Evangelientexte ist verbunden mit der Frage: Und was sagt mir jetzt dieser oder jener Text? Was kann ich mir davon mitnehmen für die kommende Woche?

Gerade jetzt während der Corona-Pandemie ist mir noch viel stärker bewusst geworden, wie wichtig, ja existentiell mir das gemeinsame Singen im Gottesdienst ist. Ebenso wichtig ist mir der Verlauf des Kirchenjahres, in dem wir die Lebensgeschichte Jesu durchwandern vom Menschwerden Gottes am Beginn über sein Leiden am Kreuz und seine Auferstehung zu Ostern bis hin zur „Zeit im Jahreskreis“, wo vom Alltag Jesu Sonntag für Sonntag erzählt wird. Und all das nicht alleine, sondern in Gemeinschaft mit der Pfarre. Dieses Ritual ist etwas, das mir Sonntag für Sonntag Halt gibt und Zuversicht schenkt und Mut, mein Leben aktiv in die Hand zu nehmen.

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Mittwoch, 13. Jän. 2021:

Klassische Musik

Kurz angerissen hab ich gestern in meinen Morgengedanken, wie wichtig mir das gemeinsame Singen im Gottesdienst ist. Heute möchte ich noch einen Schritt weitergehen. Für mich ist Musik etwas, das mir nicht nur im Rahmen eines Gottesdienstes Halt gibt und Kraft. Musik, bei mir vor allem klassische Musik ist für mich wie ein Schlüssel, der die Tür zu einer ganz anderen Welt öffnet, mit Worten nicht zu fassen oder zu beschreiben.

Endlos könnte ich jetzt aufzählen, wann sich diese Tür öffnet für mich. Nur ein paar Beispiele: der Elias von Felix Mendelssohn-Bartholdy, die 7. Symphonie von Beethoven, Bruckners f-moll-Messe, das Stabat Mater von Pergolesi, das Deutsche Requiem von Brahms oder natürlich Bachs Johannespassion. Da gäbe es noch so viel aufzuzählen…

Wenn ich jetzt bloß an jene Stelle im Elias denke, wo der Chor das „Denn er hat seine Engel befohlen über dir“ singt, dann schafft es Mendelssohn-Bartholdy durch seine Musik mir im Hier und Jetzt Kraft zu schenken. Musik ist für mich wie ein kraftvoller Anker, der mir immer aufs Neue Halt schenkt in meinem Leben.

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Donnerstag, 14. Jän. 2021:

Natur

Vor allem in der wärmeren Jahreszeit nutze ich seit Jahren schon meinen freien Tag, um wandern zu gehen, vor allem auf Berge rauf, so dass ich die Umgebung vom Gipfel aus dann wunderbar bestaunen kann. Obwohl ich eigentlich ungern in aller Frühe aufstehe, schaffe ich es an diesen Tagen problemlos, mich auf den Weg zu machen, um in der Steiermark, z. B. am Gaberl, am Präbichl oder rund um den Zirbitzkogel an der steirisch-kärntnerischen Grenze eine schöne Tagestour zu unternehmen.

Nicht nur die Bewegung in der Natur an der frischen Luft tut mir und meinem Körper gut, sondern auch das Beobachten der Tiere, der Blumen, der Bäume. Es hat noch nie eine Tour gegeben, die mich nicht zum Staunen gebracht hat, zum Staunen, wie wunderbar Gott doch diese ganze Schöpfung geschaffen hat, und wie herrlich wohltuend es ist, diese genießen zu dürfen. Steh ich dann keuchend oben am Gipfel, sind sämtliche Fragen, die ich mir davor stellte, warum ich mir den steilen Aufstieg antue, wie weggeblasen. Ich schau runter ins Tal und genieße die atemberaubende Landschaft unter mir. Das gibt mir Halt.

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Freitag, 15. Jän. 2021:

Beziehungen – Freundschaften

Wenn ich spüren darf, dass ich angenommen bin, so wie ich bin, wenn ich mich auch mal fallen lassen kann, wenn ich nicht nur immer funktionieren muss, dann gibt mir diese Erfahrung des Angenommenseins starken Halt. Dies erlebe ich vor allem und in erster Linie in Beziehungen und Freundschaften. Dort ist für mich der Ort, wo mein Hunger nach Geborgenheit, nach Nähe, auch nach Harmonie und Gemeinschaft gestillt wird. Solche Freundschaften geben mir großen Halt in meinem Leben.

Einander anzunehmen, einander Liebe zu schenken, ist gar nicht so einfach. Denn dort, wo ich beginne von einem anderen Menschen Liebe zu fordern, kann diese Liebe sehr schnell in Gewalt verwandelt werden, können Zärtlichkeiten zu Schlägen, kann Hören zum Überhören werden.

Als Seelsorger jedoch glaube ich fest daran, dass alle menschlichen Beziehungen, egal ob zwischen Eltern und Kindern, zwischen Liebenden oder Freunden oder auch zwischen Mitgliedern einer Gemeinschaft, ein Zeichen der Liebe Gottes zu uns Menschen sind. Jede Beziehung ist für mich also letztlich ein Sonnenstrahl der Liebe Gottes. In Beziehungen erlebe ich Gottes Liebe. In Freundschaften finde ich Halt.

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Samstag, 16. Jän. 2021:

Was trägt mich?

Es sind ganz mannigfaltige Dinge, die mich in meinem Leben tragen. Die Bibel und die Gottesdienste, klassische Musik und die Natur und ebenso Beziehungen. Diese Liste ist für mich keinesfalls vollständig. Da gibt es noch manch andere Fundamente, die mir Halt geben in meinem Alltag. Einen letzten Punkt möchte ich jedoch noch nennen, weil alle vorher genannten Punkte in diesen letzten münden. Und das ist für mich als Christ Gott.

Für mich ist Gott einer, dem ich blind vertraue, dass er es gut mit mir meint. Daran glaube ich ganz fest. Glaube heißt für mich, darauf zu vertrauen, dass Gott mir treu bleibt, dass Gott immer an meiner Seite ist, auch wenn ich vielleicht in manchen Momenten nichts davon spüren kann. Glaube bedeutet für mich: Gott trägt mich in jeder Sekunde meines Lebens! Glaube ist  – so wie es im Hebräerbrief zu lesen ist – Feststehen in dem, was ich erhoffe, und Überzeugtsein, dass es mehr gibt, als ich mit meinen Augen sehen und mit meinen Händen fassen kann (vgl. Hebr 11,1). Dieser Gott trägt mich und gibt mir Halt.

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