80 Jahre Anschluss Österreichs

„Euer Führer ist Christus“
80 Jahre Anschluss Österreichs: Wie der „Narr, der meint, er sei ein Gott“ Österreichs Kirche zum Narren hielt – und wie diese mit Hilfe Roms wieder zu Mut und Rückgrat fand.

Stephan Baier – Die Tagespost, 07. März 2018

Die erste Republik Österreich – 1918 geboren aus den Ruinen des Ersten Weltkriegs – wurde nicht einmal zwei Jahrzehnte alt. Am 12. März 1938 fiel die Deutsche Wehrmacht in Österreich ein. Zuvor war der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß am 25. Juli 1934 bei einem Putschversuch der Nazis tödlich verwundet worden. Er verblutete ohne ärztliche Hilfe und ohne den erbetenen priesterlichen Beistand im Wiener Bundeskanzleramt.

Sein Nachfolger, der Tiroler Jurist Kurt von Schuschnigg, ließ sich von Kompromiss zu Kompromiss treiben, in der Illusion, den Anschluss Österreichs an Hitlers Deutschland irgendwie verhindern und die österreichische Staatlichkeit retten zu können. Bereits im Juni 1937 jedoch hatte der deutsche Kriegsminister Blomberg einen Plan zur Besetzung Österreichs entworfen: „Sonderfall Otto“ – benannt nach dem exilierten Thronprätendenten, dem Erben der Habsburger, die dem „Führer“ ganz besonders verhasst waren.

Am 11. März unterzeichnet Hitler den Erlass „Operation Otto“

Deutschland hatte im Juli 1936 „die volle Souveränität des Bundesstaates Österreich“ in einem bilateralen Abkommen anerkannt, doch schon im März 1937 kündigte Adolf Hitler dem britischen Botschafter Neville Henderson an, er werde im Fall „innerer Explosionen“ in Österreich „blitzschnell handeln“. Ein Jahr später ist es dann so weit: Schuschnigg plant eine Volksabstimmung für den Erhalt Österreichs für 13. März. Hermann Göring fordert daraufhin telefonisch den Rücktritt des Kanzlers und droht mit Einmarsch. Wiens Hilferufe stoßen in Paris und London auf taube Ohren. Am 11. März unterzeichnet Hitler den Erlass „Operation Otto“. Am Tag darauf zieht „der Führer“ in seinem oberösterreichischen Geburtsort Braunau am Inn, anschließend in Linz ein. Mit der Wehrmacht marschieren Einheiten der deutschen Polizei, der SS und der „Legion“, der ins Deutsche Reich geflohenen illegalen österreichischen Nazis, ein.

„Ist er ein Narr, der meint, er sei ein Gott?“, hatte Schuschnigg nach seinem demütigenden Treffen mit Hitler genau einen Monat zuvor geschrieben. Jetzt musste Österreichs Kanzler seinen Bürgern mitteilen, „dass wir der Gewalt weichen“. Nicht nur er wurde von der Bereitschaft der Nazis, zu drohen, zu lügen, mit Gewalt Tatsachen zu schaffen, überrascht und überrollt. Auch die Kirche machte sich vom Ausmaß an Bosheit, mit der sie nun konfrontiert war, anfangs keine Vorstellung.

Der Wiener Erzbischof, Kardinal Theodor Innitzer, suchte Hitler am 15. März im noblen Hotel Imperial auf und versicherte ihm, die Katholiken Österreichs würden „loyal zum neuen Staate stehen“, wie Innitzers Sekretär, Jakob Weinbacher, notierte. Und weiter: „Der Führer äußerte sich befriedigt, die Kirche werde es nicht zu bereuen haben, wenn sie sich loyal zum Staate stelle. Wenn sich hier in Österreich eine gute Zusammenarbeit ergebe, was in Deutschland leider nicht gelungen sei, dann könne dieser religiöse Frühling sich auf das Altreich auswirken, wo die Fronten bedauernswerterweise festgefahren waren.“

Die Bischöfe unterzeichnen eine „Feierliche Erklärung“

Die Schikanen der Nazis gegen die Kirche begannen rasch: Der Bischof von Graz wurde 24 Stunden lang eingesperrt, der Erzbischof von Salzburg zwei Tage in seinem Palais von einem SA-Mann bewacht. Die Bischöfe protestierten, dennoch unterzeichneten sie am 18. März eine „Feierliche Erklärung“, die ihnen von Gauleiter Josef Bürckel aufgenötigt und vorformuliert worden war. Wörtlich heißt es darin: „Aus innerster Überzeugung und mit freiem Willen erklären wir unterzeichneten Bischöfe der österreichischen Kirchenprovinz anlässlich der großen geschichtlichen Geschehnisse in Deutsch-Österreich: Wir erkennen freudig an, dass die nationalsozialistische Bewegung auf dem Gebiet des völkischen und wirtschaftlichen Aufbaues sowie der Sozial-Politik für das Deutsche Reich und Volk und namentlich für die ärmsten Schichten des Volkes Hervorragendes geleistet hat und leistet. Wir sind auch der Überzeugung, dass durch das Wirken der nationalsozialistischen Bewegung die Gefahr des alles zerstörenden gottlosen Bolschewismus abgewehrt wurde. Die Bischöfe begleiten dieses Wirken für die Zukunft mit ihren besten Segenswünschen und werden auch die Gläubigen in diesem Sinne ermahnen.“

Mit Blick auf die bevorstehende Volksabstimmung, die den militärisch vollzogenen Anschluss im Nachhinein demokratisch legitimieren sollte, spielten die sechs Bischöfe Hitler voll in die Hände: „Am Tage der Volksabstimmung ist es für uns Bischöfe selbstverständliche nationale Pflicht, uns als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen, und wir erwarten auch von allen gläubigen Christen, dass sie wissen, was sie ihrem Volke schuldig sind.“

Bald schon kamen den Bischöfen selbst Bedenken: Innitzer drängte auf Änderungen, Salzburgs Erzbischof entwarf Vorbemerkungen und einen Nachtrag. Doch die nächste fatal falsche Zeichenhandlung folgte sofort: Kardinal Innitzer ließ sich einreden, der Hitler-Gruß habe einen amtlichen Charakter und diene der Verständigung von Kirche und Staat. Also unterzeichnete er einen Brief an den Gauleiter, in dem er auf „eine gute Zusammenarbeit“ hoffte, „mit dem Ausdruck ausgezeichneter Hochachtung und Heil Hitler!“ Laut dem Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann ahnten die Bischöfe nicht, dass ihre Papiere von den Nazis propagandistisch verwendet werden sollten, sondern „fielen aus allen Wolken, als sie die Plakate mit ihren drei Schriftstücken… an die Litfaßsäulen affichiert sahen“.

Die Nazis gingen scharf gegen die Kirche vor

In Rom war man weniger naiv. Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., soll nach Innitzers handschriftlichem „Heil Hitler“ von der beschämendsten Episode der Kirchengeschichte gesprochen haben. Papst Pius XI. zitierte Innitzer über den Nuntius nach Rom, wo der Wiener Kardinal verlautbaren musste, die Erklärung der Bischöfe sei keine Billigung dessen, „was mit dem Gesetze Gottes, der Freiheit und den Rechten der katholischen Kirche nicht vereinbar war und ist“. Liebmann dazu: „Im Vatikan war Innitzer harscher Kritik und Unverständnis ausgesetzt.“

In Wien formierte sich unterdessen eine „Arbeitsgemeinschaft für den religiösen Frieden“, die den Bischöfen für ihre „Feierliche Erklärung“ dankte, den „tiefgläubigen Adolf Hitler“ pries und mit einer Welle von Kirchenaustritten für den Fall eines bischöflichen Umdenkens drohte.

Bald gingen die Nazis scharf gegen die Kirche vor: Die theologischen Fakultäten in Salzburg, Innsbruck und Graz wurden aufgehoben, das Vermögen des katholischen Universitätsvereins Salzburg eingezogen, allen katholischen Schulen das Öffentlichkeitsrecht entzogen. Katholische Lehranstalten, Pensionate und Kindergärten wurden aufgehoben, katholische Schulen und Internate umgewandelt, alle Knabenseminare geschlossen. Viele Klöster erhielten kommissarische Leiter und wurden ihres Vermögens beraubt. Viele Patres wurden vertrieben, tausende katholische Beamte entlassen oder verhaftet. Gottesdienste wurden gestört, anti-katholische Agitation gefördert, Kirchenvermögen beschlagnahmt. Die antiklerikale und religionsfeindliche Hetze der Nazis blieb nicht ohne Wirkung: Etwa 300 000 Österreicher traten zwischen 1938 und 1942 aus der Kirche aus.

742 österreichische Priester und Ordensleute wurden ins Gefängnis gesperrt

Der erste von den Nazis wegen seines Glaubens ermordete österreichische Patriot war der katholische Monarchist Hans Karl von Zeßner-Spitzenberg, der am 18. März 1938 während des Besuchs der Morgenmesse von der Gestapo verhaftet wurde. Er starb am 1. August 1938 an den Folgen brutaler Misshandlung im KZ Dachau. Zwischen Anschluss und Kriegsende wurden 742 österreichische Priester und Ordensleute ins Gefängnis gesperrt, 110 in Konzentrationslager. 208 Priester wurden ausgewiesen, 15 hingerichtet. 1 500 Priester erhielten Predigt- und Unterrichtsverbot, 120 Kirchen und Kapellen wurden geschlossen. Unter den katholischen Laien, die ihr Leben ließen, sind der selige Franz Jägerstätter und der 19-jährige Otto Schimek, der sich weigerte, polnische Zivilisten zu erschießen und dafür „wegen Feigheit vor dem Feind“ selbst erschossen wurde.

Österreichs Bischöfe waren bald desillusioniert – und wurden mutig. Am 28. September 1938 schrieben sie in einer Denkschrift an Hitler: „Unsere Erklärung wurde von der NSdAP und dem Staate mit größter Befriedigung angenommen und für die Volksabstimmung am 10. April außerordentlich ausgewertet. Nach damaligen Äußerungen führender Persönlichkeiten der Partei und des Staates konnten wir erwarten, dass in Österreich kein Kulturkampf geführt werde; wurde doch von höchster Stelle selbst ausdrücklich versichert, dass die Kirche es nie zu bereuen haben werde, wenn sie sich mit dem Staate verständige. Entgegen unseren Erwartungen und den erhaltenen Zusicherungen setzte aber bald ein Kulturkampf ein, der innerhalb von wenigen Monaten, die seither verflossen sind, sehr scharfe Formen annahm.“

Zum Rosenkranzfest am 7. Oktober 1938 lud Kardinal Innitzer die katholische Jugend in den Wiener Stephansdom ein. Rund 7 000 kamen, weit mehr als erwartet. Der Abend wurde zur einzigen öffentlichen katholischen Massenkundgebung unter der Nazi-Herrschaft. Innitzer stieg auf die Kanzel des Stephansdoms und wandte sich an die Jugend: „Wir wollen gerade jetzt in dieser Zeit umso fester und standhafter unseren Glauben bekennen, uns zu Christus bekennen, unserem Führer und Meister, unserem König, und zu seiner Kirche.“ Und weiter: „Einer ist Euer Führer: Euer Führer ist Christus. Wenn Ihr ihm die Treue haltet, werdet Ihr niemals verloren gehen!“ Die begeisterten Jugendlichen skandierten später vor dem Erzbischöflichen Palais: „Bischof befiehl, wir folgen dir!“

Innitzer gab Hilfe in seinem Palais, für nichtarische Katholiken

Die Rache der Nazis folgte am Tag darauf. Kardinal Innitzers Sekretär berichtete: „Die Demonstranten stürmten schreiend in den Hof und über die Hauptstiege hinauf in die Räume des Kardinals. Mit den schweren Messingstangen, die im Siegenhaus den Teppich festhalten, beginnen sie die gesamte Einrichtung in vandalischer Weise zu zertrümmern … wertvolle Bilder durchlöchert und zerfetzt, kein Fenster blieb ganz, alle religiösen Bilder, alle Kreuze wurden zerschlagen oder schwer beschädigt.“ Innitzer selbst konnte gerade noch in Sicherheit gebracht werden. 1 200 Fenster wurden zerschlagen, Kleider des Kardinals verbrannt, sein Bischofsring und ein Brustkreuz gestohlen. Bis heute ist im Konsistorialsaal des Erzbischöflichen Palais jenes Christus-Bild zu sehen, das HJ-Fanatiker mit Dolchen zerfetzten.

Gauleiter Bürckel machte mobil: Bei einer Kundgebung vor 200 000 Menschen auf dem Wiener Heldenplatz erklärte er den Wiener Kardinal für die Ausschreitungen verantwortlich. Auf Transparenten in der Innenstadt stand zu lesen: „Innitzer und Jud, eine Brut“, „Innitzer nach Dachau“ und „Ohne Juden, ohne Rom, wird erbauet Deutschlands Dom“. Mit der sarkastischen Bemerkung „Mehr als erschlagen können sie mich ja nicht“ gründete Kardinal Innitzer 1940 eine „Erzbischöfliche Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“, die er in seinem Palais unterbrachte.

Um die anfängliche bischöfliche Anbiederung an die machthabenden Nazis gerecht zu beurteilen, muss man sehen, dass auch andere Kräfte sich zu arrangieren versuchten. Da war etwa der sozialistische Staatskanzler Karl Renner, der den Anschluss in einem Interview als „große geschichtliche Tat des Wiederzusammenschlusses der deutschen Nationen … freudigen Herzens begrüßte“. Renner drängte sogar darauf, „die alten Sozialdemokraten Wiens in meinem Namen aufzurufen, am 10. April für Großdeutschland und Adolf Hitler zu stimmen“.

Von den Staaten der Welt protestierte nur Mexiko beim Völkerbund in Genf gegen den Anschluss Österreichs, und im Kreis der Staatsführer war Hitler zu jener Zeit noch „salonfähig“, wie der österreichische Zeithistoriker Helmut Wohnout formuliert. Wohnout meint, dass Hitler die Idee verfolgt habe, „eine papstfreie, gleichgeschaltete deutsche katholische Kirche analog zur weitgehend herrschaftskonformen protestantischen Kirche“ zu etablieren. Doch bei allem Wankelmut und aller anfänglichen Naivität waren Österreichs Hirten letztlich papsttreu.